"Secretary"
R: Steven Shainberg
D: Maggie Gyllenhaal, James
Spader
USA 2002
WWW? - Was wäre wenn? Im Laufe der
Geschichte wurde diese Frage so häufig gestellt, wie es Sand am Meer gibt. Meist
bleiben die Antworten darauf ohne Relevanz. Konjunktive sind eben nur bedingt
realitätstauglich. Aber genau auf diese Bedingung kommt es manchmal an. Denn
was wäre, wenn Herr von Sacher-Masoch eine Frau gewesen wäre? Und was wäre,
wenn der Marquis
de Sade eben diese Frau getroffen hätte? Und das noch nach Erfindung der
Kinematographie? Wer "Secretary" gesehen hat, kennt die Antwort.
Sprung auf die Leinwand: Irgendwo im schönen Staate Florida
treffen Sie und Er aufeinander. Sie, das ist Lee Holloway.
Er, das ist E. Edward Grey. Sie neigt zur Autoaggression und wurde
am Hochzeitstag ihrer Schwester aus einer Klinik entlassen. Er umgibt
sich lieber mit Orchideen als mit Menschen und hat eine verpfuschte Beziehung
hinter sich. Beide sind nach der wiedergewonnenen Freiheit auf der Suche nach
Erfüllung. Da fügt es sich, dass Sie einen Job braucht und Er eine
Stelle ausgeschrieben hat. Anwalt Edward stellt Lee als seine Sekretärin
ein.
Edward ist ein Pedant: Die roten Filzstifte, mit denen er gnadenlos
Lees Geschäftsbriefe korrigiert, müssen in einer Linie nebeneinander liegen.
Alles hat seine peinlich genaue Ordnung. Doch seine "Secretary" ist gar nicht
das, was man(n) in einer Anwaltskanzlei erwartet: Ist Sie unsicher - und
das ist Sie oft - spielt Sie mit ihren Haarsträhnen; ist
Sie konzentriert, macht Sie seltsame Zungenbewegungen. Manchmal
schnieft Sie auch. Den Kontrollfreak Edward regt das alles auf - und
nicht nur das, es erregt ihn zusehends. Zur Strafe für Tippfehler züchtigt er
Lee mit Schlägen auf den Po. Lee findet Gefallen an dieser Art von
Orthografiekurs. Um die flache Hand auf ihren Backen zu spüren, legt sie einen
Regenwurm in die Anwaltskorrespondenz oder verschreibt sich bei "sincerelee" mit
Absicht.
Sie kann Gefühle nur durch Ertragen von Schmerz zeigen;
Er nur durch Zufügen des selbigen. Trotz der Sado-Maso-Grundkonstellation
ist das Machtspiel der beiden sehr zart dargestellt. Die Akzentuierung der Worte
samt dem Mienenspiel von Lee und Edward ist absolute Spitzenleistung. Die
anfänglich so submissive Sekretärin legt immer mehr an Selbstvertrauen zu und
tritt sogar in den Hungerstreik (am Schreibtisch ihres Chefs!), als der
gefühlsmäßig mittlerweile total überforderte Edward ihr kündigt. Ab dann schlägt
die bizarre Himmelhoch-jauchzend-zu-Tode-betrübt-Beziehung einen anderen Weg
ein.
"Secretary" erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den
"Spezialpreis für Originalität" beim Sundance Film Festival 2002. Leider hat es
fast zwei Jahre gedauert, ehe der Streifen in den heimischen Kinos anlief. Als
DVD-Geheimtipp wird "Secretary" allerdings schon lange gehandelt. Maggie
Gyllenhaal ("Donnie
Darko") schaffte mit ihrer mitreißenden Darstellung den Durchbruch.
James Spader ("Wolf", "Crash") bewies einmal mehr, dass er
einer der meist unterschätzten Schauspieler Hollywoods ist. Die Regiearbeit von
Steven Shainberg wirkt wohltuend abseitig des Mainstreams. Viele Einstellungen
sind gewagt, sinnlich, aber auch unglaublich subtil.
Was wäre, wenn bei Wahlen in Amerika die Qualität Primärkriterium wäre? Dann
säße George W. Bush wohl nicht im Weißen Haus, und Sie und Er
hielten kleine goldene Statuen in Händen, auf denen "Academy Award" für Maggie
Gyllenhaal respektive James Spader stünde ...
(lostlobo; 06/2004)
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