"Der menschliche Makel"
R: Robert Benton
D: Anthony Hopkins, Nicole Kidman, Gary Sinise, Ed Harris
USA 2003
Makellose Verfilmung des gleichnamigen Romans von Philip Roth mit überzeugender schauspielerischer Leistung; allen voran Anthony Hopkins und Nicole Kidman.
"Der menschliche Makel"
- Ein makelloser Film!
Der Film beginnt, indem er das
Ende der Story vorwegnimmt: im Irgendwo von Massachusetts in der Einsamkeit und
Kälte einer verschneiten Landstraße finden zwei Menschen den Tod. Danach
Flashback auf einen gepflegten, sonnendurchfluchteten Rasen mit altehrwürdigem
Backsteinbau - die typische College-Idylle der amerikanischen Ostküste. Man
schreibt den Sommer 1998: Drei Studenten unterhalten sich im Vorbeigehen, ob Präsident
Clinton mit Monica Lewinsky nun "hat" oder nicht, und wenn ja, auf welche
Weise. Es ist eine Zeit, in der Doppelmoral, Lüge und überzogene politische
Korrektheit über Massenmedien ungewollt selbstironisch zur Schau gestellt
werden.
Genau in diesen Tagen, als eine
ganze Nation mit voyeuristischer Lust auf das Sexualleben des Präsidenten
schielt, wird die political correctness auch Coleman Silk zum Verhängnis. Der
Professor für Altphilologie hält wie gewohnt eine seiner Vorlesungen über
antike griechische Literatur an besagtem Athena College. Silk, der erste jüdisch-stämmige
Dekan dieser akademischen Institution im puritanisch-spießigen Neuengland, ist
ein Charismatiker mit sprühendem Intellekt und spitzer Zunge. Die Umstände
wollen es, dass er sich über die permanente Abwesenheit zweier Studenten lustig
macht. Seit Semesterbeginn hatte er die beiden kein einziges Mal zu Gesicht
bekommen, was ihn zur rhetorischen Frage treibt, ob denn die zwei überhaupt
existieren oder nur "dunkle Gestalten" (im Original: "spooks") wären.
"Spooks" steht in seiner Slangbedeutung abschätzig für Amerikaner
afrikanischer Herkunft. Zu Silks Leidwesen sind die beiden durch Abwesenheit glänzenden
Schüler Afroamerikaner, was zur Folge hat, dass er aufgrund dieser "rassistischen Äußerung" sein Amt als Dekan abgeben und das College
verlassen muss. Des Dilemmas nicht genug, stirbt wenig danach seine Frau an
einer Embolie.
Der geschasste Professor sucht
die Nähe eines anderen Ausgestoßenen der Gesellschaft, jene des
Schriftstellers Nathan Zuckerman, der sich in einer Waldhütte im Selbstmitleid
suhlt. Einst ein gefeierter Literat, hat er zwei gescheiterte Ehen hinter sich
und laboriert an einer Schreibblockade. Silk reißt Zuckerman aus der Lethargie,
die beiden werden Freunde. Kurz danach macht Coleman Silk die Bekanntschaft der
attraktiven Faunia Farley. Zwischen dem alternden Ex-Dekan und der 34-jährigen
Putzfrau entbrennt anfangs eine heftige sexuelle Affäre, die Tag für Tag eine
Metamorphose hin zur engen Liebesbeziehung durchläuft; wenngleich mit fatalen
Vorzeichen. Ein personifiziertes negatives Omen ist Faunias ehemaliger Mann
Lester, ein vom Vietnam-Krieg psychisch deformierter Veteran mit Neigung zu
Gewaltausbrüchen.
Die Handlung nimmt ihren Lauf. Im
Zuge der Gespräche mit Zuckerman, lässt Silk es zu, dass vermehrt Licht auf
seine eigene Vergangenheit fällt. Coleman Silk ist demnach gar kein Jude,
sondern hat selbst afroamerikanisches Blut. Seine helle Hautfarbe entspringt
wohl dem Variantenreichtum der Mendelschen Vererbungsregeln. Silk machte sich
dieses phänotypische Erscheinungsbild zum Vorteil für eine Karriere in der Navy
und später an der Universität. Mit konsequenter Kälte verleugnete er seine
dunkelhäutigen Geschwister wie seine Mutter. Selbst seine Frau hatte über all
die Jahre nie erfahren, dass Coleman Silk ein "Schwarzer" ist. Durch seinen
Hinauswurf vom Athena College schien ihn die Gerechtigkeit eingeholt zu haben,
wenngleich die Umstände eher für eine rachsüchtige Nemesis zu sprechen
scheinen. Die Lebenslüge ist entschleiert, als allzu menschlicher Makel, begründet
im Trachten nach Anerkennung.
Autor Philip Roth handelt in "Der menschliche Makel" (Originaltitel
"The Human Stain") seine Leibthemen ab: das
Streben der Juden in Amerika, dem amerikanischen Traum gerecht zu werden,
gepaart mit dem Eintauchen in sexuelle Obsession und dem Sichtbarmachen der ständig
im Raum schwebenden Doppelmoral; wobei gegensätzlich zum Kinofilm im Buch eine
sehr explizite Sprache gesprochen wird. Roth, immer wieder für den Nobelpreis
gehandelt, gilt in den USA als literarisches Enfant terrible. Selbst Jude,
musste er sich oft als Antisemit bezeichnen lassen, was nicht hinderlich war, dass
er sowohl den Faulkner- wie auch den Pulitzerpreis erhielt. Obwohl Philip Roth
vehement für die Trennung literarischer und realer Wirklichkeit eintritt, trägt
"Der menschliche Makel" autobiografische Züge. Coleman Silk wuchs wie der
Autor selbst im jüdischen Arbeitermilieu von New Jersey auf, ebenso ist er mit
Literatur beschäftigt. Und auch die Figur des Nathan Zuckerman, der übrigens
drei weitere Roth-Bücher gewidmet sind, weist starke Charakterelemente des
Autors auf.
Die schauspielerischen Leistungen
in "The Human Stain" sind erstklassig. Anthony Hopkins als in die Jahre
gekommener Coleman Silk überzeugt durch natürliches Charisma und eine
authentische Bandbreite, die vom cholerischen Wutausbruch bis zur schüchternen
Sanftheit reicht. Nicole Kidman verleiht Faunia Farley faszinierende
Verletzlichkeit mit Tränen und "Augen-Blicken", die unaufgesetzte Erotik
pur sind. Gary Sinise wiederum mimt den vom Leben zurückschreckenden
Intellektuellen in seiner von Büchern dominierten Abgeschiedenheit meisterlich.
Last but not least überzeugt Ed Harris als kriegsgeschädigtes Psycho-Wrack.
"Der menschliche Makel" ist
ein sehenswerter Film, selbst dann, wenn man die Bücher von Philip Roth nicht
unbedingt zur Lieblingslektüre zählt. Der Streifen ist nicht schön, aber
wahr, und zeigt, dass unter all der drückenden Doppelmoral doch ein Stückchen
spät erfüllter Liebe stecken kann.
(lostlobo; 02/2004)
"Der menschliche Makel"
Roman
von Philip Roth bestellen
Soundtrack
zum Film bestellen