"KUKUSHKA"
Regie und Drehbuch: Aleksandr
Rogozhkin.
D: Viktor Bychkov, Ville Haapasalo, Anni-Kristina
Juuso.
Russland 2002.
105 Minuten. Saami/Finnisch/Russisch mit dt. und
frz. Utl.
Facettenreicher Dreiklang am Polarkreis
Weite Wildnis nordischer Prägung, Steingeröll, Flechten, ein Haufen Gewehre
und Soldaten - so nimmt "Kukushka" seinen Anfang. Es beginnen
- der Landschaft angepasst - karge Dialoge in drei verschiedenen Sprachen: Finnisch,
Deutsch - und später Russisch. Offenbar blickt das Publikum auf eine Nebenarena
des II. Weltkriegs. Einem jungen Mann mit SS-Runen am Kragen, den man aber ganz
intuitiv nicht als Nazi wähnt, wird eine eiserne Beinfessel verpasst, an der
eine Kette klirrt. Dann treiben - dem Tonfall nach - finnische Soldaten selbige
Kette mit metallnen Pflöcken tief in den Felsen. Ein deutscher Leutnant skandiert
einen Befehl. Dem Angeketteten wird Proviant zurückgelassen sowie ein Gewehr
samt Zielfernrohr. Alsdann zieht der bilinguale Soldatentrupp ab. Der Zuseher
bleibt verdutzt sitzen. Was macht Prometheus
bloß am Polarkreis? Auf diese Frage gewährt sich der Film eine großzügige Anlaufzeit.
Für die nächste halbe Stunde legt der Kinogeher Zeugnis von den Fluchtversuchen
des Mannes am Felsen ab. Gewehrkugeln können die eisernen Glieder nicht durchtrennen,
so macht der Gekettete mithilfe von Brillengläsern, Flechten und mageren Ästchen
Feuer, um das Gestein rund um die Keilverankerungen zu bersten. McGyver spielt
Houdini? Wieder nein, die Antwort muss noch warten.
Währenddessen holpert ganz in der Nähe ein russischer Jeep durch den Wald. Von
den drei Insassen ist einer ein politischer Gefangener. Später erfährt man,
das Vergehen dieses einstigen Hauptmannes der Roten Armee bestand einzig darin,
Gedichte über die Natur zu schreiben - in der Apparatschiks Augen ein wahrlich
bourgeoises Schurkenstück! Das Schicksal will es, dass besagter Jeep just von
russischen Kampffliegern getroffen wird. Fahrer und Bewacher kommen dabei ums
Leben, der Dissident bleibt schwer verwundet liegen. Eine junge Lappin findet
seinen matten Körper und schleift ihn in ihre fellbestückte Holzhütte. Mit
urtümlichen Substanzen pflegt die Frau den Russen gesund.
Zwischenzeitlich hat der Mann in SS-Uniform seine Ketten endlich gesprengt.
Auch er steuert auf die Hütte zu. Kampf und Gewalt? Nein, falsch geraten.
Was wie ein Kriegsfilm seinen Anfang genommen hat, erhält nun die subtilen Züge
einer gelungenen Komödie. Zwischen den beiden Männern und der Frau bildet sich
eine amüsante Dreiecksbeziehung heraus. Umwerfend erheiternd wirken die Dialoge,
da niemand sprachlich den Anderen versteht, aber alle miteinander plaudern.
Anni, die resolute Rentierhalterin, spricht auf Saami, der Sprache der Lappen;
Ivan, der Ex-Hauptmann, auf Russisch; Veiko, der vermeintliche Nazi, offenbart
sein Los auf Finnisch.
Nun wird das Prometheus-Rätsel der Lösung zugeführt. Da er vom Töten genug hatte
und lieber wieder studieren wollte, steckten ihn seine finnischen Kameraden,
die auf deutscher Seite gegen die Sowjets kämpfen, in eine Nazi-Uniform. Dann
kam Veiko an den Felsen. Die herannahenden Russen sollten den intellektuellen
"Defätisten" für einen SS-ler halten. Um Gefangenschaft und Folter zu entgehen,
wäre ihm gar nichts Anderes übriggeblieben als so viele Rotarmisten wie möglich
mit seinem Gewehr niederzustrecken. Das Leben des Studenten hätte als Kuckuck
(russ. "Kukushka") enden sollen - als das eines Scharfschützen in vertauschter
Uniform.
Anni, deren Gespons von den Militärs verschleppt worden war, interessiert das
große Weltgetöse nicht im Geringsten. Da sie vier Jahre ohne die Nähe eines
männlichen Wesens auskommen musste, lenken sie ganz andere Gedanken und Gefühle.
Ungeniert und frivol offeriert sie sich Veiko im saamischen Zungenschlag, ohne
dass dieser das vorerst merkt. Ivan, der poesiebegabte Kommunist, hingegen bleibt
eifersüchtig auf den "Faschisten", in dem er alles Andere als einen finnischen
Pazifisten sieht. Für Verwirrung ist unter den Dreien demnach reichlich gesorgt.
Ein Kessel voller ungenießbarer Pilze
tut das Seine zum weiteren Gefühlschaos. Doch schleichend empfinden die zwei
"verfeindeten" Männer immer mehr Achtung füreinander, und Anni mag ohnehin beide.
Bis ein Schuss fällt, der Veikos Geist ins Land der Toten bringt. In einer eindrucksvollen
schamanischen Zeremonie kämpft die junge Lappenfrau um seine Rückkehr ins Leben,
womit der Film erneut eine Wende erfährt, vom Komischen zum Mystischen. Das
dargebotene Trommel- und Gesangsritual gereicht Anni-Kristina Juuso zu schauspielerischer
Ehre.
Aber nicht nur sie ist bestens besetzt. Alle drei Hauptakteure brillieren in
allen drei dargebotenen Genres: Drama, Komik und Mystik. Jeder geht in seiner
Figur auf und schmückt sie durch Mienen- und Körperspiel plastisch aus. "Kukushka"
zeigt, dass ohne mondäne Kulisse oder raffinierte Computergenerierung immer
noch hervorragende Filme machbar sind. Leider schwingt der Kuckuck aber nur
in Programmkinos seine bunten Federn ...
(lostlobo; 10/2004)
Produzent: Sergey Selyanov, CTB Film
Company.
Kameraleitung: Andrei Zhegalov.
Ausstattung: Vladimir
Svetozarov.
Ton: Anatoly Goudkovsky, Sergei Sokolov.
Musik: Dmitri
Pavlov.
Kostüme: Marina Nikolaeva.
Schminke: Olga Shamkovitch.