"Coffee and Cigarettes"
R: Jim Jarmusch.
D:
Roberto Benigni, Steven Wright, Joie Lee, Cinqué Lee, Steve Buscemi, Iggy Pop,
Tom Waits, Cate Blanchett, Alfred Molina, Steve Coogan, GZA, RZA, Bill
Murray.
USA 2003; 96 Minuten; S/W; OmU.
Elf koffeingetränkte
und nikotinverhangene Episoden á la Jim Jarmusch
Wäre "Coffee And
Cigarettes" ein Musikstück, dann wohl am ehesten eine Jazzsession mit vielen
grandiosen Einzelkünstlern, die auf ihre spezifische Art und Weise ein
Grundthema interpretieren und variieren. Der gewohnte lineare Handlungsfaden
existiert in diesem Streifen nicht. Mit elf Episoden setzt Jim Jarmusch Kaffee
und Zigaretten ein filmisches Denkmal. Mal dreht sich das ganze Gespräch um
diese Genussmittel, mal werden sie durch die Kameraeinstellung wortlos zum
Mittelpunkt der Szene. Das Ambiente ist karg, alles, was von Mimik und Aussagen
der Schauspieler ablenken konnte, wurde weggelassen. Jegliche Handlung zentriert
sich um einen Tisch, der überbordet mit gefüllten Kaffeetassen und vollen
Aschenbechern. Mehr als drei Akteure kommen in keiner der Episoden vor.
Produziert wurde der Film schwarz-weiß, die Farbe erhält er einzig durch das
Können der Schauspieler, die alle ihre tatsächlichen (Vor-)Namen
tragen.
Episode "Strange To Meet You"
In einem
schmuddligen Kellercafé trifft Roberto (Benigni) Steven (Wright). Beide erweisen
sich als koffein- und nikotinsüchtig. Außer dass Benigni sein Gegenüber ständig
mit Steve anspricht und dieser auf Steven verbessert, dreht sich die
Konversation um nichts von Bedeutung. Zittrige Hände und wirre Blicke vermitteln
das Bild zweier Abhängiger. Steven erklärt, dass er Kaffee vor dem Einschlafen
brauche, um schneller träumen zu können. Am Ende nimmt Roberto für ihn den
Zahnarzttermin wahr. Einfach skurril!
Episode
"Twins"
Das afroamerikanische Zwillingspaar Joie (Lee) und Cinqué
(Lee) sitzt in einem Café der Country-Metropole Memphis. Beim Zigarettenqualm
schieben sich Schwester und Bruder gegenseitig die Schuld zu, wer denn nun
verantwortlich sei, dass sie in diesem "Hinterwäldlerort" gestrandet wären. Da
stößt Kellner Steve (Buscemi) hinzu, der unaufgefordert von Elvis Presleys
"bösem Zwilling" zu palavern beginnt, welcher all das Negative getan haben soll,
das dem "King" angedichtet wird. Zwischendurch fragt er Joie und Cinqué, wer von
ihnen beiden der "böse Zwilling" wäre.
Episode "Somewhere in
California"
Irgendwo in Kalifornien, in einem der typisch
amerikanischen Restaurants entlang einer Schnellstrasse, wartet Iggy (Pop) auf
seinen Kumpel Tom (Waits), den er schon länger nicht mehr gesehen hat. Als Tom
endlich eintrifft, erzählt er von der Ähnlichkeit, die zwischen Musik und
Medizin besteht (sic!) Dann philosophieren beide, wie schön es sei, dass sie das
Rauchen aufgegeben hätten. Plötzlich bietet Waits Iggy eine Zigarette an, denn
jetzt - als willensstarke Nichtraucher - hätten sie beide die Kraft, eine zu
rauchen. Natürlich ist auch die Kaffeequalität diverser Imbissbuden Thema. Nach
kurzem Disput über einen Schlagzeugspieler trennen sich beide
freundschaftlich.
Episode "Those Things’ll Kill
You"
Zwei alte Italo-Amerikaner, Joe (Rigano) und Vinnie (Vella),
sitzen in einem Restaurant. Der eine sekkiert den anderen permanent mit verbal
erhobenem Zeigefinger. Er hält ihm vor, dass Kaffee und Zigaretten sein Leben
verkürzen werden. Alles erinnert an die Unterhaltung zweier mafioser
Kleinganoven. Dann kommt Vinnie Junior hinzu, der seinen Vater wortlos um Geld
anpumpt und Joe japanische Bohnen anbietet.
Episode
"Renée"
Renée (French), eine ranke und schlanke Frau mit
hochtoupiertem Haar, sitzt rauchend in ein Magazin vertieft. Sie liest Artikel
über Motorräder und blättert durch die Angebote für Handfeuerwaffen. Immer
wieder erscheint der Kellner, der ihr Kaffee nachgießen will. Renée lehnt ab.
Ihr Kaffee muss eine ganz bestimmte Farbe und Temperatur aufweisen. Beides würde
durch Nachfüllen zerstört werden.
Episode "No
Problem"
Isaach (de Bankolé) trifft seinen alten Freund Alex
(Descas) wieder, der ihn angerufen hatte. Obwohl Alex versichert, dass alles in
Ordnung wäre, glaubt Isaach fest daran, dass es ein Problem gibt, worüber Alex
nicht reden möchte. Auf vielerlei rhetorische Weise versucht er, seinen Freund
zum Reden zu bringen. Vergeblich. Eingangs der Episode und an ihrem Ende - in
Großaufnahme zwischen Kaffeetassen - bemerkt der Zuseher, dass es tatsächlich
ein kurioses Problem gibt. Alex würfelt ständig zwei gleiche
Augenzahlen.
Episode "Jack Shows Meg His Tesla
Coil"
Der Jugendliche Jack (White) ist ein großer Bewunderer des
Physikers und Erfinders Nikola Tesla (1856-1943). Getreu der ursprünglichen
Bauanleitung hat er eine Teslaspule entwickelt. Diese bringt er - auf ein
Rollwägelchen affichiert - ins Kaffeehaus, um sie Meg (White) vorzuführen.
Blitzespuckend setzt sich die Maschine in Gang, um dann abzuschmoren. Jack
erklärt Meg, dass Tesla die Erde als Leitmedium für akustische Resonanz begriff.
In die philosophisch-physikalische Ausführung platzt Küchenjunge Cinqué (bekannt
aus der Episode "Twins"). Natürlich sind Kaffee und Zigaretten als Inventar
nicht wegzudenken.
Episode "Cousins"
Cate
(Blanchett) ist auf Promotionstour für ihren Film. Sie residiert in einem noblen
Hotel, in dessen Lounge sie Cousine Shelly trifft. Diese ist das absolute
Gegenstück ihrer Verwandten, sei es in Kleidung, Haarfarbe oder Sprachstil. Je
länger sich die Konversation erstreckt, desto deutlicher wird, dass die Kaffee
schlürfende Shelly der blasierten Cate alles neidet. Am Ende schenkt Cate ihrer
Cousine teures Make-up, was diese zu falschen Schlüssen verleitet. Cate
Blanchett zeigt in dieser Doppelrolle erneut, dass ihr Repertoire nicht auf die
Darstellung der Elbenkönigin Galadriel ("Der Herr der
Ringe") beschränkt bleibt. Wie schon als Petal in
"Schiffsmeldungen" überzeugt sie auch als Shelly in der Rolle der
verruchten Vorstadtdame.
Episode "Cousins?"
Der
britische Schauspieler Alfred (Molina) trifft in einem Restaurant in Los Angeles
seinen Landsmann Steve (Coogan). Alfred hatte Ahnenforschung betrieben und dabei
überraschend herausgefunden, mit Steve verwandt zu sein. Über mehrere
Generationen sind beide Herren Cousins. Coogan lässt diese Entdeckung kalt,
zumal der ihm unheimliche Alfred auch noch gemeinsame Filmprojekte vorschlägt.
Ein überraschender Handyanruf stellt die Situation am Ende der Episode auf den
Kopf. Detail am Rande: Molina und Coogan ziehen Tee mit Milch dem Kaffee
vor.
Episode "Delirium"
GZA und RZA, Rapper der Gruppe Wu Tang Clan, sitzen im Restaurant. Kellner
ist Bill (Murray), der Kaffee direkt aus der Kanne trinkt. RZA warnt Bill vor
zu viel Koffeinkonsum, der zu Delirium führen kann. Seine Warnung unterstreicht
er mit der Tatsache, dass Wirkstoffe des Kaffees als Insektizid sehr erfolgreich
Anwendung finden. Murray erzählt den beiden, dass er Kaffee zum schneller Träumen
benötige (siehe Steven Wright in der ersten Episode). Am Ende gurgelt Murray
mit dem Ofenreiniger ... Delirium?
Episode "Champagne"
Taylor (Mead) und Bill (Rice) sind zwei betagte Herren, die Kaffee
aus Pappbechern trinken. Während der nüchterne Taylor stolz ist, zur Arbeiterklasse
zu gehören, schwelgt der schöngeistige Bill von Teslas Idee der Schwingungen,
von Paris und von der Vorstellung, Champagner statt Billigkaffee vor sich zu
haben. Am Ende zitiert er Gustav Mahlers "Lied von der Erde" und schläft ein,
ja, vielleicht entschläft er auch. Filmende.
Sofern dem Rezensenten eine persönliche Wertung der
Episoden gewährt sei, dann entscheidet er sich für die folgenden beiden. Platz
zwei geht an "Cousins" aufgrund der großen Wandlungsfähigkeit von Cate Blanchett
in ihrer Doppelrolle. Am ersten Rang und Siegerpodest steht "Cousins?"; einfach
deswegen, weil Wortwitz, Gestik und Mimik dieser Episode zum Eingang in jedes
Lehrbuch der Situationskomik gereichen würden.
(lostlobo; 09/2004)
Die Musik im Film ist wie
bei Jim Jarmusch üblich: ungewöhnlich: vom Komponisten Gustav Mahler
über Tom Waits bis hin zu Iggy Pop:
LOUIE, LOUIE (Richard Berry & The
Pharaohs), NAPPY DUGOUT (Funkadelic), CRIMSON AND CLOVER (Tommy James and the
Shondells), DOWN ON THE STREET (The Stooges), NIMBLEFOOT SKA (The Skatalites),
BADEN BADEN (Modern Jazz Quartet), HANALEI MOON (Jerry Byrd), FANTAZIA 3 in G
minor (Henry Purcell; Fretwork), ENNA BELLA (Eric "Monty" Morris), SAW SAGE
C-SIDE (Tom Waits), A JOYFUL PROCESS (Funkadelic), LOUIE, LOUIE (Iggy Pop), ICH
BIN DER WELT ABHANDEN GEKOMMEN
(Gustav Mahler; Janet Baker).
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Ein
Buchtipp:
Rolf Aurich / Stefan Reinecke (Hrsg.): "Jim
Jarmusch"
Jim
Jarmusch ist der wohl bedeutendste Independent-Regisseur Amerikas. Mit Filmen
wie "STRANGER THAN PARADISE", der 1984 die Goldene Palme in Cannes gewann, und
"DOWN BY LAW" entwickelte er einen ureigenen Stil, der geprägt ist von Coolness,
Lakonie und einem untrüglichen Gespür für skurrile Gestalten und Situationen.
Besondere Popularität gewinnt Jarmusch durch seine Nähe zur Musikszene, durch
die Zusammenarbeit etwa mit Tom Waits und Neil Young. Neben Texten zu allen
seinen Filmen und verschiedenen Essays enthält das Buch auch ein ausführliches
Interview mit Jarmusch. (Bertz + Fischer)
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