Venus im Pelz
von Leopold von Sacher-Masoch
»Gott hat ihn gestraft und hat
ihn in eines Weibes Hände gegeben.«
Buch Judith 16. Kap. 7.
Ich hatte liebenswürdige
Gesellschaft.
Mir gegenüber an dem massiven Renaissancekamin saß Venus, aber nicht etwa eine
Dame der Halbwelt, die unter diesem Namen Krieg führte gegen das feindliche
Geschlecht, gleich Mademoiselle
Cleopatra,
sondern die wahrhafte Liebesgöttin.
Sie saß im Fauteuil und hatte ein prasselndes Feuer angefacht, dessen Widerschein
in roten Flammen ihr bleiches Antlitz mit den weißen Augen leckte und von Zeit
zu Zeit ihre Füße, wenn sie dieselben zu wärmen suchte.
Ihr Kopf war wunderbar trotz der toten Steinaugen, aber das war auch alles,
was ich von ihr sah. Die Hehre hatte ihren Marmorleib in einen großen Pelz gewickelt
und sich zitternd wie eine Katze zusammengerollt.
»Ich begreife nicht, gnädige Frau«, rief ich, »es ist doch wahrhaftig nicht
mehr kalt, wir haben seit zwei Wochen das herrlichste Frühjahr. Sie sind offenbar
nervös.«
»Ich danke für euer Frühjahr«, sprach sie mit tiefer steinerner Stimme und nieste
gleich darnach himmlisch, und zwar zweimal rasch nacheinander; »da kann ich
es wahrhaftig nicht aushalten, und ich fange an zu verstehen –«
»Was, meine Gnädige?«
»Ich fange an das Unglaubliche zu glauben, das Unbegreifliche zu begreifen.
Ich verstehe auf einmal die germanische Frauentugend und die deutsche Philosophie,
und ich erstaune auch nicht mehr, daß ihr im Norden nicht lieben könnt, ja nicht
einmal eine Ahnung davon habt, was Liebe ist.«
»Erlauben Sie, Madame«, erwiderte ich aufbrausend, »ich habe Ihnen wahrhaftig
keine Ursache gegeben.«
»Nun, Sie –« die Göttliche nieste zum dritten Male und zuckte mit unnachahmlicher
Grazie die Achseln, »dafür bin ich auch immer gnädig gegen Sie gewesen und besuche
Sie sogar von Zeit zu Zeit, obwohl ich mich jedesmal trotz meines vielen Pelzwerks
rasch erkälte. Erinnern Sie sich noch, wie wir uns das erstemal trafen?«
»Wie könnte ich es vergessen«, sagte ich, »Sie hatten damals reiche braune Locken
und braune Augen und einen roten Mund, aber ich erkannte Sie doch sogleich an
dem Schnitt Ihres Gesichtes und an dieser Marmorblässe – Sie trugen stets eine
veilchenblaue Samtjacke mit Fehpelz besetzt.«
»Ja, Sie waren ganz verliebt in diese Toilette, und wie gelehrig Sie waren.«
»Sie haben mich gelehrt, was Liebe ist, Ihr heiterer Gottesdienst ließ mich
zwei Jahrtausende vergessen.«
»Und wie beispiellos treu ich Ihnen war!«
»Nun, was die Treue betrifft –«
»Undankbarer!«
»Ich will Ihnen keine Vorwürfe machen. Sie sind zwar ein göttliches Weib, aber
doch ein Weib, und in der Liebe grausam wie jedes Weib.«
»Sie nennen grausam«, entgegnete die Liebesgöttin lebhaft, »was eben das Element
der Sinnlichkeit, der heiteren Liebe, die Natur des Weibes ist, sich hinzugeben,
wo es liebt, und alles zu lieben, was ihm gefällt.«
»Gibt es für den Liebenden etwa eine größere Grausamkeit als die Treulosigkeit
der Geliebten?«
»Ach!« – entgegnete sie – »wir sind treu, so lange wir lieben, ihr aber verlangt
vom Weibe Treue ohne Liebe, und Hingebung ohne Genuß, wer ist da grausam, das
Weib oder der Mann? – Ihr nehmt im Norden die Liebe überhaupt zu wichtig und
zu ernst. Ihr sprecht von Pflichten, wo nur vom Vergnügen die Rede sein sollte.«
»Ja, Madame, wir haben dafür auch sehr achtbare und tugendhafte Gefühle und
dauerhafte Verhältnisse.«
»Und doch diese ewig rege, ewig ungesättigte Sehnsucht nach dem nackten Heidentum«,
fiel Madame ein, »aber jene Liebe, welche die höchste Freude, die göttliche
Heiterkeit selbst ist, taugt nicht für euch Modernen, euch Kinder der Reflexion.
Sie bringt euch Unheil. Sobald ihr natürlich sein wollt, werdet ihr gemein.
Euch erscheint die Natur als etwas Feindseliges, ihr habt aus uns lachenden
Göttern Griechenlands Dämonen, aus mir eine Teufelin gemacht. Ihr könnt mich
nur bannen und verfluchen oder euch selbst in bacchantischem Wahnsinn vor meinem
Altar als Opfer schlachten, und hat einmal einer von euch den Mut gehabt, meinen
roten Mund zu küssen, so pilgert er dafür barfuß im Büßerhemd nach Rom und erwartet
Blüten von dem dürren Stock, während unter meinem Fuße zu jeder Stunde
Rosen,
Veilchen und
Myrten emporschießen, aber euch bekömmt ihr Duft nicht; bleibt nur in eurem
nordischen Nebel und christlichem Weihrauch; laßt uns Heiden unter dem Schutt,
unter der Lava ruhen, grabt uns nicht aus, für euch wurde Pompeji, für euch
wurden unsere Villen, unsere Bäder,
unsere Tempel nicht gebaut. Ihr braucht keine Götter! Uns friert in eurer Welt!«
Die schöne Marmordame hustete und zog die dunkeln Zobelfelle um ihre Schultern
noch fester zusammen.
»Wir danken für die klassische Lektion«, erwiderte ich, »aber Sie können doch
nicht leugnen, daß Mann und Weib in Ihrer heiteren sonnigen Welt ebensogut wie
in unserer nebligen, von Natur Feinde sind, daß die Liebe für die kurze Zeit
zu einem einzigen Wesen vereint, das nur eines Gedankens, einer Empfindung,
eines Willens fähig ist, um sie dann noch mehr zu entzweien, und – nun Sie wissen
es besser als ich – wer dann nicht zu unterjochen versteht, wird nur zu rasch
den Fuß des anderen auf seinem Nacken fühlen –«
»Und zwar in der Regel der Mann den Fuß des Weibes«, rief Frau Venus mit übermütigem
Hohne, »was Sie wieder besser wissen als ich.«
»Gewiß, und eben deshalb mache ich mir keine Illusionen.«
»Das heißt, Sie sind jetzt mein Sklave ohne Illusionen, und ich werde Sie dafür
auch ohne Erbarmen treten.«
»Madame!«
»Kennen Sie mich noch nicht, ja, ich bin grausam – weil Sie denn schon an dem
Worte so viel Vergnügen finden – und habe ich nicht recht, es zu sein? Der Mann
ist der Begehrende,
das Weib das Begehrte, dies ist des Weibes ganzer, aber entscheidender Vorteil,
die Natur hat ihm den Mann durch seine Leidenschaft preisgegeben, und das Weib,
das aus ihm nicht seinen Untertan, seinen Sklaven, ja sein Spielzeug zu machen
und ihn zuletzt lachend zu verraten versteht, ist nicht klug.«
»Ihre Grundsätze, meine Gnädige«, warf ich entrüstet ein.
»Beruhen auf tausendjähriger Erfahrung«, entgegnete Madame spöttisch, während
ihre weißen Finger in dem dunkeln Pelz spielten, »je hingebender das Weib sich
zeigt, um so schneller wird der Mann nüchtern und herrisch werden; je grausamer
und treuloser es aber ist, je mehr es ihn mißhandelt, je frevelhafter es mit
ihm spielt, je weniger Erbarmen es zeigt, um so mehr wird es die Wollust des
Mannes erregen, von ihm geliebt, angebetet werden. So war es zu allen Zeiten,
seit Helena und Delila, bis zur zweiten Katharina und Lola Montez herauf.«
»Ich kann es nicht leugnen«, sagte ich, »es gibt für den Mann nichts, das ihn
mehr reizen könnte, als das Bild einer schönen, wollüstigen und grausamen Despotin,
welche ihre Günstlinge übermütig und rücksichtslos nach Laune wechselt –«
»Und noch dazu einen Pelz trägt«, rief die Göttin.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich kenne ja Ihre Vorliebe.«
»Aber wissen Sie«, fiel ich ein, »daß Sie, seitdem wir uns nicht gesehen haben,
sehr kokett geworden sind.«
»Inwiefern, wenn ich bitten darf?«
»Insofern es keine herrlichere Folie für Ihren weißen Leib geben könnte, als
diese dunklen Felle und es Ihnen –«
Die Göttin lachte. »Sie träumen«, rief sie, »wachen Sie auf!« und sie faßte
mich mit ihrer Marmorhand beim Arme, »wachen Sie doch auf!« dröhnte ihre Stimme
nochmals im tiefsten Brustton. Ich schlug mühsam die Augen auf.
Ich sah die Hand, die mich rüttelte, aber diese Hand war auf einmal braun wie
Bronze, und die Stimme war die schwere Schnapsstimme meines Kosaken, der in
seiner vollen Größe von nahe sechs Fuß vor mir stand.
»Stehen Sie doch auf«, fuhr der Wackere fort, »es ist eine wahrhafte Schande.«
»Und weshalb eine Schande?«
»Eine Schande in Kleidern einzuschlafen und noch dazu bei einem Buche«, er putzte
die heruntergebrannten Kerzen und hob den Band auf, der meiner Hand entsunken
war, »bei einem Buche von – er schlug den Deckel auf, von Hegel – dabei ist
es die höchste Zeit zu Herrn Severin zu fahren, der uns zum Tee erwartet.«
(...)
(Beginn der Erzählung
"Venus im Pelz" von Leopold Sacher-Masoch; 1836-1895)
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