(...) O Leben der Liebe! wie warst du an ihr aufgegangen in voller holdseliger Blüte! wie in leichten Schlummer gesungen von seligen Genien, lag das reizende Köpfchen mir auf der Schulter, lächelte süßen Frieden, und schlug sein ätherisch Auge nach mir auf in fröhlichem unerfahrenem Staunen, als blickt´ es eben jetzt zum ersten Male in die Welt.
Lange standen wir so in holder selbstvergessener Betrachtung, und keines wusste, wie ihm geschah, bis endlich der Freude zu viel in mir sich häufte und in Tränen und Lauten des Entzückens auch meine verlorne Sprache wieder begann, und meine stille Begeisterte vollends wieder ins Dasein weckte.
Endlich sahn wir uns auch wieder um.
"O meine alten freundlichen Bäume!" rief Diotima, als hätte sie sie in langer Zeit nicht gesehn, und das Andenken an ihre vorigen einsamen Tage spielt´ um ihre Freuden, lieblich, wie die Schatten um den jungfräulichen Schnee, wenn er errötet und glüht im freudigen Abendglanze.
"Engel des Himmels!" rief ich, "wer kann dich fassen? wer kann sagen, er habe ganz dich begriffen?"
"Wunderst du dich", erwiderte sie, "daß ich so sehr dir gut bin? Lieber! stolzer Bescheidner! Bin ich denn auch von denen, die nicht glauben können an dich, hab ich denn nicht dich ergründet, hab ich den Genius nicht in seinen Wolken erkannt? Verhülle dich nur und siehe dich selbst nicht; ich will dich hervorbeschwören, ich will -. Aber er ist ja da, er ist hervorgegangen, wie ein Stern; er hat die Hülse durchbrochen und steht, wie ein Frühling, da; wie ein Kristallquell aus der düstern Grotte, ist er hervorgegangen; das ist der finstre Hyperion nicht, das ist die wilde Trauer nicht mehr - o mein, mein herrlicher Junge!"
Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt ich glauben an dies Wunder der Liebe? konnt ich? mich hätte die Freude getötet.
"Göttliche!" rief ich, "sprichst du mit mir? kannst du so dich verleugnen, selige Selbstgenügsame! kannst du so dich freuen an mir? O ich seh es nun, ich weiß nun, was ich oft geahnet, der Mensch ist ein Gewand, das oft ein Gott sich umwirft, ein Kelch, in den der Himmel seinen Nektar gießt, um seinen Kindern vom Besten zu kosten zu geben."
"Ja, ja! fiel sie schwärmerisch lächelnd mir ein, "dein Namensbruder, der herrliche Hyperion des Himmels ist in dir."
"Laß mich", rief ich, "laß mich dein sein, laß mich mein vergessen, laß alles Leben in mir und allen Geist nur dir zufliegen; nur dir, in seliger endeloser Betrachtung! O Diotima! so stand ich sonst auch vor dem dämmernden Götterbilde, das meine Liebe sich schuf, vor dem Idole meiner einsamen Träume; ich nährt es traulich; mit meinem Leben belebt ich es, mit den Hoffnungen meines Herzens erfrischt´, erwärmt ich es, aber es gab mir nichts, als was ich gegeben, und wenn ich verarmt war, ließ es mich arm, und nun! nun hab ich im Arme dich, und fühle den Othem deiner Brust, und fühle dein Aug in meinem Auge, die schöne Gegenwart rinnt mir in alle Sinnen herein, und ich halt es aus, ich habe das Herrlichste so und bebe nicht mehr - ja! ich bin wirklich nicht, der ich sonst war, Diotima! ich bin deinesgleichen geworden, und Göttliches spielt mit Göttlichem jetzt, wie Kinder unter sich spielen." -
"Aber etwas stiller mußt du mir werden", sagte sie.
"Du hast auch recht, du Liebenswürdige!" rief ich freudig, "sonst erscheinen mir ja die Grazien nicht; sonst seh ich ja im Meere der Schönheit seine leisen lieblichen Bewegungen nicht. O ich will es noch lernen, nichts an dir zu übersehen. Gib mir nur Zeit!"
"Schmeichler!" rief sie, "aber für heute sind wir zu Ende, lieber Schmeichler! die goldne
Abendwolke hat mich gemahnt. O traure nicht! Erhalte dir und mir die reine Freude! Laß sie nachtönen in dir, bis morgen, und töte sie nicht durch Mißmut! - die Blumen des Herzens wollen freundliche Pflege. Ihre Wurzel ist überall, aber sie selbst gedeihn in heitrer Witterung nur. Leb wohl, Hyperion!"
Sie machte sich los. Mein ganzes Wesen flammt´ in mir auf, wie sie so vor mir hinwegschwand in ihrer glühenden Schönheit.
"O du! - " rief ich ich und stürzt ihr nach, und gab meine Seele in ihre Hand in unendlichen Küssen.
"Gott!" rief sie, "wie wird das künftig werden!"
Das traf mich. "Verzeih, Himmlische!" sagt ich; "ich gehe. Gute Nacht, Diotima! denke noch mein ein wenig!"
"Das will ich", rief sie, "gute Nacht!" (..)


(aus "Hyperion oder der Eremit in Griechenland" von Friedrich Hölderlin)
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