(....) "Nun,
es gibt eine richtige Ehe, dann eine Scheinehe, eine beklagenswerte Ehe und
eine glückliche Ehe; es gibt Ehen, die rechtzeitig und solche, die aus Notwendigkeit
geschlossen wurden, und es gibt Ehen, die gut und solche, die schlecht enden.
Hab´ Geduld, Kind, bis ich dir das alles erklärt habe.
Was verstehen wir unter einer richtigen Ehe? Nun, eine ideale Ehe ist die zwischen
einem glänzenden Scholaren und einem schönen Mädchen; doch solche Ehen sind
selten. Wenn zwei solche Menschen einander begegnen und sich ineinander verlieben,
können sie es nicht ertragen, auch nur für einen Augenblick getrennt zu sein,
und werden von Sehnsucht getrieben, einander zu heiraten. Sie sind wie zwei
Motten,
die sich aneinander klammern und so sterben. Das ist eine wahre Ehe.
Was aber ist eine Scheinehe? Bei einer solchen Ehe liebt ein junger Mann ein
Mädchen, das ihn nicht liebt, ihn aber durch List dazu bringt, eine
Menge Geld für sie auszugeben. Wenn der Tag der Eheschließung festgesetzt
ist, will sie auf einmal nicht heiraten. Obwohl nun der Narr weiß, dass sie
ihn nicht liebt, besteht er darauf, sie zu heiraten, besticht die Kupplerin
und die Wünsche des Mädchens zählen nicht mehr. Da sie gegen ihren Willen in
sein Haus getragen wird, bricht sie absichtlich alle Regeln des Hauses, macht
Skandale oder treibt es mit anderen Männern, bis ihm klar wird, dass er sie
in seinem Haus nicht halten kann. Nach etwa sechs Monaten oder einem Jahr lässt
er sie ins
Bordell zurückgehen. Eine solche Ehe ist nichts als ein
Weg,
zu Geld zu kommen, deshalb nennen wir sie eine Scheinehe.
Was ist eine beklagenswerte Ehe? Sie kommt dann zustande, wenn ein angesehener
Mann ein Mädchen liebt, dem er vollkommen gleichgültig
ist. Er aber benützt seine offizielle Stellung, um die Kupplerin - sie hat Angst
vor Unannehmlichkeiten - zu zwingen, dieser Ehe zuzustimmen. Mit verweinten
Augen siedelt das Mädchen in sein Haus um. Doch wenn sie einmal dort ist, hat
sie das Gefühl, sich auf dem Grund eines Ozeans zu befinden, denn die Familienregeln
sind so streng, dass sie es nicht wagt, den Kopf zu heben; und später führt
sie ein elendes Leben, halb als Konkubine und halb als Dienerin. Das ist eine
beklagenswerte Ehe.
Und was schließlich ist eine glückliche Ehe? Wir nennen die Ehe glücklich, in
der sich ein Mädchen selbst seinen Mann erwählen kann und auf einen reichen
und zärtlichen Mann trifft, dessen Frau gütig ist, aber keine Kinder hat. Er
nimmt das Mädchen zu sich in der Hoffnung, dass sie ihm einen Sohn gebiert;
tut sie das, so wird sie in seinem Haus wie eine der Herrinnen behandelt. Sie
führt also ein angenehmes Leben und hat eine wunderschöne Zukunft vor sich.
Das ist eine glückliche Ehe.
Was ist nun eine Ehe, die rechtzeitig geschlossen wurde? Sie kommt zustande,
wenn ein Freudenmädchen, das noch auf dem Höhepunkt seines Ruhms steht, einen
zufriedenstellenden Ehemann findet. Auf diese Weise kann sie sich vor Misserfolgen
durch verblühende Schönheit und vor der Verachtung aller absichern. Eine solche
Ehe ist eine rechtzeitig abgeschlossene Ehe.
Und wie sieht die Ehe aus Notwendigkeit aus? In dieser Ehe hat das Mädchen nicht
heiraten wollen, wurde aber entweder von einer Behörde zur Ehe gezwungen, wurde
also erpresst, oder sie musste mit ihrer Person eine Schuld bezahlen. Sie hatte
also keine Wahl, unabhängig davon, ob der Mann gut ist oder schlecht. Sie kann
nur noch Frieden und ein Dach über dem Kopf erhoffen. Das ist die Ehe aus Notwendigkeit.
Was meine ich mit einer Ehe, die gut endet? Sie kommt zustande, wenn ein nicht
mehr ganz junges Freudenmädchen, das allerhand erlebt hat, einen ehrlichen Burschen
trifft und sich beide ineinander verlieben. Dann kann sie die Segel setzen,
in den Hafen der Ehe segeln und mit ihm bis ins hohe Alter hinein leben. Das
ist eine Ehe, die gut endet.
Was schließlich verstehe ich unter einer Ehe, die schlecht endet? Bei dieser
Ehe hat sich ein Paar leidenschaftlich
verliebt,
die Liebe ist dann aber abgekühlt. Oder aber die Eltern des Mannes sind schwierig
oder seine Frau ist
eifersüchtig, sodass er das Mädchen nach einigen Streitereien
zurück zu seiner Familie schickt und sein Geld zurückverlangt. Oder aber der
Mann wird so arm, dass er sie nicht mehr unterhalten kann, sie aber vermag die
Schwierigkeiten eines solchen Lebens nicht zu ertragen, verlässt ihn und nimmt
ihren Beruf wieder auf. Das sind die Ehen, die schlecht enden." (...)
(aus "Der
Ölverkäufer und das Freudenmädchen"; anonym; späte Ming-Dynastie: 1580-1644)