Erst heute, Madame,
habe ich Monsieur de Valmont den Brief zurückgegeben, den zu schreiben Ihr mir
die Ehre erwiesen habt. Ich habe ihn vier Tage behalten, trotz der Furcht, die
mich oft überkam, dass man ihn fände, aber ich versteckte ihn sehr sorgfältig,
und wenn mich der Kummer wieder überkam, schloss ich mich ein, um ihn erneut zu
lesen.
Ich sehe jetzt, dass das, was ich für ein so großes Unglück hielt,
fast gar keines ist; und man muss zugeben, dass es großen Spaß macht: so dass
ich mich fast nicht mehr gräme. Nur der Gedanke an Danceny quält mich noch
manchmal. Aber es gibt schon Augenblicke die Menge, wo ich überhaupt nicht mehr
an ihn denke! Auch ist Monsieur de Valmont ganz liebenswürdig!
Ich habe mich
wieder mit ihm ausgesöhnt seit zwei Tagen: das war ganz einfach, weil ich ihm
kaum zwei Worte gesagt hatte, als er mir gesagt hat, dass, wenn ich ihm etwas zu
sagen hätte, er nachts in mein Zimmer käme, und ich brauchte nur zu antworten,
dass es mir schon recht sei. Und dann, sobald er da war, schien er so wenig böse
zu sein, als hätte ich ihm nie etwas getan. Er hat mich erst danach gescholten,
und dann noch ganz sanft und das war auf eine Art... Ganz wie bei Euch; was mir
gezeigt hat, dass er auch richtig
Freundschaft für mich übrig hat.
Ich könnte
gar nicht sagen, wieviele drollige Sachen er mir erzählt hat, die ich nie
geglaubt hätte; besonders über Mama. Ihr würdet mir eine große Freude machen,
mir mitzuteilen, ob das alles wahr ist. Soviel jedenfalls ist sicher, dass ich
mich nicht beherrschen konnte zu lachen, so sehr, dass ich einmal laut
herausgeplatzt bin, was uns ganz schön Angst eingejagt hat: weil Mama es hätte
hören können, und wenn sie nachschauen gekommen wäre, was wäre da aus mir
geworden? Sie hätte mich sicher wieder ins Kloster gesteckt!
Da es heißt
vorsichtig sein, und da, wie Monsieur de Valmont mir selbst gesagt hat, er um
nichts in der Welt Gefahr laufen möchte, mich bloßzustellen, sind wir
übereingekommen, dass er von jetzt an nur kommt, die Tür zu öffnen, und wir dann
in sein Zimmer gehen. Da ist dann nichts zu befürchten, ich war gestern schon
dort und gerade jetzt, da ich Euch schreibe, warte ich darauf, dass er kommt.
Jetzt hoffe ich, Madame, dass Ihr mich nicht mehr ausschelten
werdet.
Trotzdem gib es eine Sache, die mich in Eurem Brief ganz schön
überrascht hat, das ist das, was Ihr mir mitteiltet, für wenn ich verheiratet
sein werde, in Bezug auf Danceny und Monsieur de Valmont. Mir scheint, in der
Oper sagtet Ihr mir einmal im Gegenteil, dass ich, wäre ich erst einmal
verheiratet, nur noch meinen Mann lieben dürfte, und ich müsste sogar Danceny
vergessen: im übrigen habe ich vielleicht falsch verstanden, und mir ist auch
viel lieber, dass es anders ist, weil ich jetzt den Zeitpunkt meiner
Verheiratung nicht mehr so sehr fürchte. Ich wünsche ihn mir sogar herbei, weil
ich dann mehr Freiheit haben werde. Und ich hoffe, dass ich es dann so
einrichten kann, dass ich nur noch an Danceny denke. Ich spüre richtig, dass ich
wirklich nur mit ihm glücklich sein werde: weil mich jetzt der Gedanke an ihn
immerfort quält und ich nur glücklich bin, wenn ich es schaffe, nicht an ihn zu
denken, was ganz schön schwer ist; und sowie ich an ihn denke, werde ich sofort
wieder betrübt.
Ein wenig tröstet mich, dass Ihr mir versichert, dass Danceny
mich deshalb um so mehr lieben wird: aber seid Ihr dessen auch wirklich
sicher?... O! Ja, Ihr würdet mich nicht täuschen wollen. Es ist indessen lustig,
dass ich Danceny liebe und dass Monsieur de Valmont... Aber wie Ihr sagt, das
ist vielleicht ein Glück! Wir werden schon noch sehen.
Ich habe nicht so
recht verstanden, was Ihr mir wegen meiner Art zu schreiben bemerkt. Mir
scheint, dass Danceny meine Briefe gut findet, so wie sie sind. Ich spüre
indessen schon ganz genau, dass ich ihm überhaupt nichts sagen darf von dem, was
mit Monsieur de Valmont passiert; so braucht Ihr also nichts zu
befürchten.
Mama hat mit mir noch nicht von meiner
Verheiratung
gesprochen: aber lasst nur; wenn sie davon spricht, dann ist es ja nur, um mich
zu überlisten; ich verspreche Euch, ich werde zu lügen wissen.
Adieu, meine
liebe Freundin; ich danke Euch sehr und verspreche Euch, niemals all Eure Güte
für mich zu vergessen: Ich muss schließen, denn es ist fast ein Uhr,
so
dass Monsieur de Valmont nicht mehr lange auf sich warten lassen
wird.
Schloss..., den 10. Oktober 17**
(Aus "Gefährliche Liebschaften" von P.A.F. Choderlos de Laclos.)
Der revolutionäre Briefroman - ein großer Klassiker über
Liebe,
Macht und
Intrigen:
1999 von der Académie Goncourt zum wichtigsten Werk der
französischen Literatur gekürt, ist dieser einstige Skandalroman auch heute noch
ein unvergessliches Leseerlebnis: ein Sittenbild der korrupten höfischen
Gesellschaft im Frankreich vor der Revolution. Gesellschaftskritik, Fallstudie
und Psychokrimi in einem.
Pierre-Ambroise François Choderlos de Laclos,
geboren am 18. Oktober 1741 in Amiens, entstammte jungem Adel. Der ehrgeizige
Offizier starb am 5. November 1803 in Tarent an Typhus.
P.A.F. Choderlos de Laclos: "Gefährliche
Liebschaften"
(Originaltitel "Les Liaisons
dangereuses")
Aus dem Französischen neu übersetzt
und mit
Anmerkungen versehen von Wolfgang Tschöke.
Mit einem Nachwort von Elke
Schmitter.
Hanser, 2003. 544 Seiten.
ISBN 3-446-20383-4.
ca. EUR 27,90.
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