Manfred Mai: "Lesebuch zur Weltgeschichte"
Nach seiner
"Weltgeschichte", die nicht nur was die Auflage anbelangt ein großer
Erfolg war und gezeigt hat, dass Geschichte kein trockener Unterrichtsstoff ist,
sondern wirklich Spaß machen kann und etwas mit jedem von uns zu tun hat, legt
Manfred Mai nun eine umfangreiche Sammlung von Quellentexten zu den einzelnen
Abschnitten seines ersten Buches vor. Dieses Vorhaben ist nur begrüßen, denn
die Arbeit an und mit den Quellen
war und ist sozusagen Grundlage allen Arbeitens mit geschichtlichen Vorgängen,
weil sie die eigene Interpretation ermöglicht und herausfordert.
Bei der Auswahl von Texten für einen solchen Band müssen sicher vom Autor Kompromisse
gemacht werden. Deshalb soll auch die Auswahl an sich nicht kritisiert werden,
nur eine Textauswahl hat mich irritiert: warum ist die Geschichte vom Brudermord
(Kain und Abel) aus Genesis 4 der zentrale
Beispieltext für das Alte Testament?
Diesem Buch sind ähnlich viele Leser wie dem ersten zu wünschen. Jungen
Menschen Lust zu machen auf das Begreifen dessen, wo sie herkommen und wo sie
hingehen, ist selten so notwendig gewesen wie heute.
(Winfried Stanzick; 04/2005)
Manfred Mai: "Lesebuch zur Weltgeschichte"
Hanser, 2005. 320 Seiten. (Ab 12 J.)
ISBN 3-446-20447-4.
ca. EUR 18,40.
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Lien zur Netzseite des Autors: http://www.mm-mai.de/
Ein weiteres Buch des Autors:
"Weltgeschichte. Erzählt von Manfred Mai"
Mit vielen farbigen Abbildungen.
Das Leben der ersten Menschen, der Pharaonenkult
der alten Ägypter oder das Reich Karls des Großen: alles keine trockene, zusammenhangslose
Theorie mehr, sondern lebendig erzählte Weltgeschichte! Von den Nomaden der
Frühzeit bis zur Gegenwart erhalten jugendliche Leser einen geschichtlichen
Überblick, der dem Geschichtsunterricht in der Schule oft fehlt. (Hanser)
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Leseprobe:
England und Frankreich führten zwischen 1338 und 1453 den so genannten Hundertjährigen
Krieg. Als die Engländer schon tief in Frankreich und kurz vor der Erstürmung
der königlichen Residenz in Orléans standen, erschien das 17-jährige Bauernmädchen
Jeanne d`Arc beim König und erklärte, Gott habe sie zur Rettung Frankreichs
geschickt.
Die Geschichte der Jeanne d' Arc war für viele Schriftsteller ein
reizvolles Thema, nicht nur in Frankreich. So schrieb zum Beispiel Bertolt
Brecht ein Stück über "Die heilige Johanna der Schlachthöfe".
Der hier abgedruckte Auszug stammt aus dem Jugendroman "Das Mädchen Jeanne d'
Arc".
"Ob ich Recht tat, sie heute Abend ins Schloss kommen zu lassen, was meint Ihr,
Bischof? Der Zug ist an Euch."
Karl saß an dem kunstvoll eingelegten Schachtisch, einen spitzen Ellbogen
aufgestützt, die Augenbrauen hochgezogen. Blinzelnd betrachtete er seinen
Partner, gelangweilt und ein wenig ratlos. Im offenen Feuer des Kamins knallte
ein großes Eichenscheit und fing prasselnd zu brennen an.
Langsam griff eine beringte Hand nach dem Läufer am linken Eck des
Schachbretts, eine volle Stimme räusperte sich. "Ihr seht wohl, Sire, dass ich
Euch mit einem Zug matt setzen kann. Nehmt den Bauern zurück. Ihr habt an
anderes gedacht." Reginald, dem Titel nach Kanzler von Frankreich, war auch
Erzbischof von Reims, doch hatte er sein Bistum nie gesehen, weil die alte Krönungsstadt
auf englischem Gebiete lag. Er faltete die Hände über dem violetten Tuch
seiner Sutane, während Karl mit verlegenem Griff den Bauern zurücknahm und
einen Turm vorschob.
"Dieser Zug war der einzig Mögliche, Sire. Er nötigt mich, meine Königin zu
verteidigen ... Was das Bauernmädchen anbelangt, nun, Ihr wisst, ich war weder
dafür noch dagegen, dass Ihr sie empfangt. Aber da sie seit zwei Tagen in der
Stadt unten sitzt und nur auf die Einladung wartet, scheint es mir etwas spät
zur Überlegung."
Karl sah auf das Schachbrett nieder und brütete über dem Spiel, aber da
Reginald mit seinem Zug zögerte, stand er auf, ging mit langen Beinen, die in
der eng anliegenden Tuchhose kümmerlich mager erschienen, ans Fenster und sah
in den Regen hinaus, der über knospende Bäume und die grauen Zinnen der
Schlossmauer fiel.
"Ihr habt heute wohl wenig Lust zum Spiel, Sire." Väterlich lächelte es aus
dem wohlgefärbten, trotz der Jahre noch straffen Gesicht des Erzbischofs. Als
Karl sich vom Fenster wandte und an den Tisch zurückkehrte, senkte Reginald die
Augen, die er rasch und prüfend gehoben hatte.
"Wozu soll ich noch Lust haben? Seit drei Wochen hat mein Schatzmeister sich
von meinen Köchen das Geld vorstrecken lassen. Die Fische sind unbezahlt, die
wir essen, und da, seht her, meine Ärmel -"
Karl hielt den Arm unter des Bischofs unbewegtes Gesicht. Kunstvoll war ein
viereckiger Fleck auf jene Stelle des samtenen Wamses genäht, die sein Ellbogen
durchbohrt hatte. Mit ärgerlicher Bewegung schob er das Schachbrett von sich.
"König von Frankreich soll ich mich nennen und bin es bis heute nicht. Wisst
Ihr, was mir gestern ein Untertan schrieb?" Seine Stimme wurde dünn, als säßen
ihm Tränen an der Kehle. "Ihr, der Ihr Euch König von Frankreich nennt!"
Reginald wusste, dass Karl noch weit dreistere Briefe erhielt, und leider waren
sie nicht nur Verleumdung: er verstecke sich auf seinen Schlössern und an üblen
Orten und höre sich nie die Klagen seines armen Volkes an. "Warum rügt Ihr
nicht solche Unziemlichkeiten?", fragte er.
"Weil die ganze Welt weiß, dass meine eigene Mutter geschworen hat, ich sei
nicht der Sohn meines Vaters, weil niemand an mich glaubt, und weil es besser wäre,
ich würde nach Aragonien fliehen. Seit sieben Jahren bete ich zu Gott um
Klarheit, aber er gibt mir keine Antwort und bald wird es zu spät sein. Wenn
der König von Aragonien keine Hilfstruppen schickt, bleibt mir nur noch die
Flucht nach Schottland."
Reginald sitzt reglos, als höre er die Beichte, er wartet geduldig und
aufmerksam, ob der Mann, den er König nennt, ihm noch mehr anvertraut. Doch
Karl spricht nicht weiter, er brütet dumpf vor sich hin, hebt dazwischen eine
Schachfigur in die Höhe und setzt sie wieder an den alten Platz zurück.
"Ich weiß das alles, Sire. Doch Gott kann ein Wunder wirken, und für ein
Wunder ist es nie zu spät."
Durch Karls zusammengesunkenen Körper geht ein Zucken, er hebt den Kopf und
sieht dem Bischof beschwörend ins Gesicht. "Ist es nicht ein Wunder, wenn ein
Bauernmädchen von Lothringen herkommt, um mich aufzusuchen? Wenn es genau am
12. Februar weiß, dass wir die Schlacht von Rouvray verloren haben? Wenn es
sagt, es müsse zu mir kommen, auch wenn es sich die Beine bis ans Knie abläuft,
weil Gott sie schicke, unseren Krieg zu beenden?"
"Nehmen wir an, sie hat eine Eingebung gehabt. Aber Eingebungen können auch
vom Teufel kommen."
Karl fällt ihm ins Wort, er ist aufgesprungen, jetzt erst sieht man, dass er
noch keine dreißig Jahre alt ist. "Der Pfarrer von Beauvais hat das Kreuz über
ihr geschlagen und Weihwasser über sie gesprengt, er hat sie geprüft und für
würdig befunden."
"Beauvais ist ein kleiner Ort, Sire, und des Teufels Listen sind größer, als
die Gelehrsamkeit eines Dorfpfarrers sich vorstellen mag. Ich habe das Mädchen
beobachten lassen, seit sie in der Stadtschenke wohnt. Sie trägt Hosen und
geschnittenes Haar."
"Muss sich nicht ein Mädchen als Knabe verkleiden, wenn es durch Kriegsland
reitet, ganz allein mit zwei Männern? Wird sie nicht Räubern und Soldaten
begegnet sein? Hat sie nicht auf der Landstraße übernachten müssen?"
"Das eben meine ich, Sire. Wenn Gott ein Wunder wirken soll, könnte es nur
durch eine reine Jungfrau geschehen. Und dieses Mädchen - wenn es ein Mädchen
ist -"
Eine Tür knarrt, ein Gobelinvorhang hebt sich. "Der Herr Herzog von
Trémouille",
flüstert ein Page fragend, doch ehe Karl Erlaubnis nickt, steht ein
starkknochiger Mann im Raum und verneigt sich leicht gegen den König. Dieser
Mann wäre erster Minister, wenn es an solchem Hof Ministertitel gäbe.
"Nun, Trémouille, was macht sie?", fragt Karl vorgebeugt.
"Leider weigert sich die Gottgesandte, mit mir zu sprechen, und die brave
Wirtin ist unbestechlich. Aus den zwei Männern, die mit ihr kamen, ist nichts
herauszuholen als albernes Zeug. Jedenfalls stecken die drei unter einer Decke.
Sie behaupten, das Mädchen bete und enthalte sich noch mehr als sonst der
Speisen." Trémouille streift Reginald zwinkernden Auges. "Es ist ja wohl
Fastenzeit, nicht wahr, Herr Bischof? Ob sie sich auch anderer Dinge enthält,
vermag ich nicht zu beurteilen. Vermutlich ist der Rettungsengel hässlich."
(...)