Elisabeth Wilhelm: "Till und Tina - Im Zauberwald"

Ein Sprachförder- und Vorlesebuch


Seit den verschiedenen Pisa-Studien der letzten Jahre ist es offenkundig: Die Sprachentwicklung und die Sprachkompetenz unserer Kinder lassen sehr zu wünschen übrig. Dabei ist es nur ein Argument, dass Deutschland in den Ergebnissen der Studien meistens in der hinteren Hälfte aller untersuchten Länder landet. Viel wichtiger ist es zunächst einmal, was das für all die betroffenen Kinder bedeutet. Und der Hinweis, dass insbesondere Migrantenfamilien betroffen seien, greift bei näherem Hinsehen ebensowenig, weil auch die Sprachleistungen von Kindern aus ganz normalen deutschen Familien so schlecht sind, dass sie bezweifeln lassen, ob diese Kinder die ganz normale Regelschule erfolgreich werden besuchen können.

Die Kinder wissen das jetzt noch nicht, aber in einigen Jahren werden sie es spüren, wenn sie zu denen gehören, die auch mit 15 Jahren keinen zusammenhängenden Text lesen können, und denen damit die meisten beruflichen Wege und Karrieren für immer verschlossen bleiben. Dies ist das Argument, das immer wieder genannt wird in der öffentlichen Diskussion. Auch die Bedeutung für unsere Wirtschaftsleistung in der Zukunft wird immer wieder hervorgehoben. Kaum die Rede ist jedoch davon, was diese verkümmerte Sprach- und Lesekompetenz für die Persönlichkeiten und die Seelen dieser zahllosen jungen Menschen bedeutet: Niemals werden sie teilhaben können an dem, was unser sogenanntes christliches Abendland auszeichnet; nie werden sie ein auch nur einigermaßen ansprechendes Buch lesen können, nie ein Theaterstück genießen oder gar ein Gedicht in ihr Herz lassen können. Selbst wenn sie später irgendwie ihr Auskommen fristen, zum wirklichen und vollkommenen Menschsein gehört die Teilhabefähigkeit an Kultur unbedingt dazu.

Wir merken also: Wenn wir diese fatale Entwicklung einfach hinnehmen, berauben wir die nächsten Generationen des Wertvollsten, was unsere Kultur zu bieten hat, und wir enthalten ihnen ein wichtiges Stück Lebensqualität und Lebensbewältigungskompetenz (denn auch die vermitteln die Literatur und die schönen Künste!) vor.

Über die Ursachen dieser schlimmen Entwicklung ist viel geschrieben worden. Sicher sind "sprachlose" Eltern vor den verschiedensten Medien (Fernseher, Computer etc.) der erste und wichtigste Grund, zu denen später noch unzureichende Angebote im Kindergarten- und Grundschulalter hinzukommen. Und danach ist es ohnehin fast schon zu spät.

Umso wichtiger ist, dass es Autoren und Verlage gibt, die den Menschen, die diese Entwicklung nicht hinnehmen möchten, Eltern, Großeltern, Erzieherinnen und Lehrern, Bücher an die Hand geben, die sie dabei unterstützen, die Freude an der Sprache und die Teilhabe an ihrem unendlichen Reichtum zu vermitteln.

Die Reihe "Prolog" im Fleurus Verlag leistet mit ihren Büchern einen kleinen, aber wertvollen Beitrag dazu. Mit Elisabeth Wilhelms "Till und Tina im Zauberwald" wird nun ein Sprachförder- und Lesebuch vorgelegt, das von Carsten Märtin ansprechend illustriert wurde und für die unterschiedlichsten Anwendungen hervorragend geeignet ist.

Man kann es benutzen wie ein ganz normales Bilder- und Vorlesebuch mit einer fortlaufenden Geschichte. Das ganz Besondere aber an diesem wunderbaren Buch ist, dass unter der Rubrik "Jetzt bist du dran" auf fast jeder Seite die Kinder eingeladen sind, ihrer Fantasie freien und eben auch sprachlich ausgedrückten Lauf zu lassen. Entweder sollen sie überlegen, wie die Geschichte auf der nächsten Seite weitergehen könnte, oder das, was in der Geschichte erzählt wird, vergleichen mit ihrem eigenen Alltag (z.B. "Was würdest du gerne einmal in den Ferien machen?")
Sie sollen Unterschiede herausfinden oder werden zu fantasievollen und kreativen Spielen eingeladen. In einem Anhang werden die Lösungen zu den Bildvergleichen dargeboten, sodass die Kinder gleich ihr Erfolgserlebnis abholen können. Einige weitere Spielvorschläge und kurze, aber aufschlussreiche Hinweise für Eltern und Erzieher zum Thema "Spracherwerb" runden ein wunderbares Buch ab, von dessen Art man sich noch weitere wünscht. Es ist multifunktional einsetzbar mit einzelnen Kindern oder auch in Gruppen, mit einem Satz beiliegender Spielkarten, die auch unabhängig vom Buch zu verschiedenen Spielen verwendet werden können.

Möge der Wunsch der Autorin aus ihrem Vorwort für vielen Eltern, Erzieher und Kinder in Erfüllung gehen:
"Nicht zuletzt soll dieses Buch Sie dazu anregen, mit anderen Bilderbüchern ähnlich umzugehen, d.h. das Vorlesen zu einem Vergnügen zu machen, bei dem das Kind aktiv und kreativ mit Sprache spielt. Vielleicht bekommen Sie auch Lust zum Erfinden eigener Geschichten oder zum freien Erzählen."

Herzlichen Glückwunsch an Autorin und Verlag zu diesem Buch!

(Winfried Stanzick; 06/2006)


Elisabeth Wilhelm: "Till und Tina - Im Zauberwald"
Fleurus Verlag, 2006. 100 Seiten. (Ab 5 J.)
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