Jonathan Stroud: "Bartimäus - Die Pforte des Magiers"

Der Drahtzieher der Verschwörungen um das Amulett von Samarkand und den Golem plant seinen genialsten Coup. Und jetzt geht es für die drei um alles, die Macht der Magier, die Zukunft der Dschinn und das Überleben der gewöhnlichen Menschen.


Das Ende der Verschwörer

"Bartimäus - Die Pforte des Magiers" beginnt mit einem Mordversuch durch Assassinen. "Diese wussten unnachahmlich mit allen nur denkbaren Waffen umzugehen. Auch Töten durch bloßen Finger- und Zehenkontakt wurde gelehrt, und der narkotische Nackenbiss war ihre Spezialität. Magenverschlingung und Bandwürmer waren etwas für Fortgeschrittene."

Zur vorbezeichneten Stunde schleichen sie sich ins Zimmer. Seit Tagen folgen sie strikt den geheimen Riten ihres Geheimbundes. Sie tragen nur Schwarz, meiden Fleisch, Wein und Frauen, spielen keine Blasinstrumente - und essen keinen Käse. Dafür feilen sie mit wahrhaft hingebungsvoller Inbrunst ihre Fußnägel, bis diese widerlich krumm und spitz wie Adlerklauen sind. Die Voraussetzungen sind ideal; es kann nichts schiefgehen. Doch der mächtige, unbesiegbare Dschinn Bartimäus macht ihnen mit einer lässigen Handbewegung den Garaus. Dies geschieht 125 Jahre vor Christi Geburt.

Doch wie Bartimäus schmerzlich erfahren muss, ändern sich auch für Dämonen die Zeiten. Im Hier und Jetzt liegt der grandiose, übermächtige und unüberwindbare Dämon auf der Straße und wird vom Gewicht eines Gebäudes platt und immer platter gedrückt. Und "... es war weder eine Tempelmauer noch ein Granitobelisk und auch nicht das Marmordach eines Kaiserpalastes", sondern - ein Klohäuschen. Und zwar ein ziemlich schweres!

Bartimäus leidet unter einem "Burn-Out-Syndrom". Völlig am Ende nach ununterbrochenem, zweijährigem Frondienst  für John Mandrake steht er kurz vor der Entleibung. Der Grund für den pausenlosen Einsatz ist, dass es im Reich der Zauberer an allen Ecken und Enden brennt. Die Gewöhnlichen demonstrieren für ihre Rechte und begehren gegen die Zauberer auf; in Übersee tobt ein verlustreicher Krieg; weltweites Auflehnen gegen die Vorherrschaft von London ist an der Tagesordnung. Und der Premierminister weigert sich, Ratschläge anzunehmen und regiert wie ein mittelalterlicher Despot. Keine leichte Zeit für Mandrake, der nach seinem Erfolg gegen den Golem einen erneuten Karrieresprung gemacht hat und zum Informationsminister ernannt wurde.

Kitty hingegen muss sich als Kellnerin und Dienstmädchen durchschlagen. Sie hat ihr Äußeres verändert und sich falsche Papiere besorgt. So lebt sie sicher und inkognito. Doch eines Tages erkennt sie unter den Gästen in der Kneipe Nick - und dieser erkennt auch Kitty. Nick überließ einst seine Kameraden von der Widerstandsbewegung dem tödlichen Schicksal, während er feige die Flucht ergriff. Somit ist die Wiedersehensfreude getrübt, und ihr Kontakt beschränkt sich auf ein Hallo und Tschüss. Dummerweise fällt Nick in die Hände der Zauberer und plaudert aus, dass Kitty noch lebt. Diese Nachricht elektrisiert Mandrake, und er setzt alles daran, ihrer habhaft zu werden.

Im letzten Teil der "Bartimäus"-Trilogie ist vieles anders. Mandrakes Gewissen rührt sich endlich wieder und schließt somit den Bogen zum ersten Teil. Die Person der Kitty bekommt eine noch stärkere Dimension als in "Das Auge des Golem". Ihr kommt hier der Part der Versöhnung, der Vernunft und des Weitblicks zu. Überhaupt werden die in den ersten beiden Romanen vorherrschenden Gründe für die Handlungen, namentlich Hass, Vergeltungs- und Rachsucht, abgelöst und durch positivere ersetzt.

Mandrake erkennt langsam die Fehler im System und zieht daraus glaubhafte Konsequenzen. Und obwohl Kitty und John einander im zweiten Teil alles Andere als wohlgesonnen waren, entwickelt sich zwischen ihnen so etwas wie eine Kameradschaft. Sie erkennen beide, dass sie ein gemeinsames Ziel haben, welches sie auch nur gemeinsam verwirklichen können: das friedliche Miteinander von Zauberern, Dämonen und Gewöhnlichen und die Beendigung des Krieges in Amerika.

Dast 600 Seiten lang, gespickt mit den irrwitzigsten Einfällen, lässt Jonathan Stroud den Leser zappeln. Und doch ist es nicht eine Seite zu viel. Natürlich tragen die unzähligen ironisch-sarkastischen Fußnoten wieder einen erheblichen Teil zum Lesevergnügen bei. Doch auch mitzuerlesen, wie Stroud den Kreis nun liebe- und kunstvoll schließt, trägt viel zum Gelingen der Trilogie bei. Bis zum Abschluss des Entwicklungsromans hagelt es wieder witzige Wortgefechte zwischen Bartimäus, John Mandrake und Dschinn-Kollegen; eine handfeste Verschwörung will aufgedeckt werden in deren Verlauf klar wird, dass es bereits seit den Geschehnissen des ersten Teils einen mächtigen Drahtzieher hinter den Kulissen gibt. Trotz der vielen Handlungsstränge gerät Stroud nie ins Trudeln. Logisch, witzig und eloquent führt er den Leser durch verschiedene Zeitebenen und Erzählperspektiven. Dabei beweist er wieder einmal seine hohe Fabulierkunst und die Fähigkeit, ganze Königreiche vor dem inneren Auge des Lesers entstehen zu lassen. Besonders der Part der "Geisterwelt" ist hervorragend gelungen und stellt eine Klasse für sich dar: im "Fantasy"-Genre ist diese auf Grund ihrer Komplexität, Dichte, Originalität und trotzdem logischen Nachvollziehbarkeit fast ohne Vorbild. Sollten Sie sich jetzt an der vermeintlichen Unvereinbarkeit von "Fantasy" und "Logik" stören: diese löst sich bei der Lektüre im wahrsten Sinne des Wortes in Wohlgefallen auf.

(Wolfgang Haan; 08/2006)


Jonathan Stroud: "Bartimäus - Die Pforte des Magiers"
(Originaltitel "The Bartimaeus Trilogy: Ptolemy's Gate")
Deutsch von Katharina Orgaß, Gerald Jung.
Buch: cbj, 2006. 608 Seiten. (Ab 10 J.)
Hörbuch: Random House Audio, 2006. 6 CDs, Laufzeit ca. 420 Minuten.
Gesprochen von Gerd Köster.     
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