Nikolaus Nützel: "Sprache oder Was den Mensch zum Menschen macht"
Endlich:
Linguistik für die Jugend
Die deutsche Sprache ist nicht logisch - und ihre Schreibung kann es
wohl auch nicht sein. Auf diese kurze und dennoch fundierte Formel
bringt der deutsche Wissenschaftsjournalist Nikolaus Nützel
das Thema Rechtschreibreform, nicht ohne zuvor zahlreiche Beispiele
für Inkonsequenzen und eine bunte Vielfalt möglicher
Schreibungen zu bringen. Denn zuerst forderten viele eine
Rechtschreibung, die logisch ist, das Gedächtnis nicht
belastet und die die gesprochene Sprache möglichst getreu
wiedergibt. Andere fanden aber, dass die Philosophie ohne ph und die
Noot mit oo (wie in Boot) zu hässlich seien, und suchten einen
Kompromiss (oder einen Kompromiß). Und schließlich
wurde die Sache zum verwirrenden Politikum und Glaubenskrieg. Eine
inkonsequente Regel folgte der nächsten, bis sich keiner mehr
auskennt und viele nach eigenen Regeln schreiben.
Ähnlich beschaulich und unterhaltsam stellte Nützel
für Jugendliche ab 12 und wohl auch erwachsene Leser noch
einige andere sprachwissenschaftliche Themen mit leichter Feder und
großem Sachverstand dar: Können Tiere sprechen? Seit
wann spricht der Mensch? Warum verändern sich Sprachen?
Sprechen Jugendliche eine eigene Sprache? Kann man alles
übersetzen? ...
Mit solch einfachen Fragen beginnt jedes Kapitel, gleich darauf folgen
einige Bilder oder sehr konkrete Beispiele, die auch linguistischen
Laien zugänglich und verständlich sind, oft aus der
Welt und der Sprache von Jugendlichen. Und schließlich gibt
Nützel einfache Antworten, die immer auch wissenschaftlich
begründet werden.
Insbesondere das Kapitel zur Übersetzung zeigt, wo
Nützel Experte ist: der gelernte Fremdsprachenkorrespondent,
Dolmetscher und Romanist schöpft aus einem reichen Fundus von
Übersetzungsfehlern, false friends,
Beispielen für gelungene und weniger gelungene
Übersetzungen.
Im Abschnitt über das Sterben von Sprachen ("Werden irgendwann
einmal alle Menschen die gleiche Sprache sprechen?") stammen die
Beispiele meist von weiter entfernten Gebieten, von den
keltischen
Sprachen im Westen der Britischen Inseln, von den Opfern des Christoph
Kolumbus in Amerika und aus Australien, selten aus
Mitteleuropa. Gerade hier hätte sich ein Blick auf den
deutschen Sprachraum angeboten: Dass immer weniger Menschen im
Saterland Friesisch sprechen, mehr und mehr Kärntner vom
Slowenischen zum Deutschen wechseln und auch das
Rätoromanische in der Schweiz zurückgeht,
lässt sich mit denselben Prinzipien erklären, wie die
zunehmende Einsprachigkeit in Schottland und unter den amerikanischen
Ureinwohnern: Machtpolitik und Armut lassen Sprachen sterben.
Für Nützel sind die traditionellen Minderheiten in
Mitteleuropa leider ebenso wenig Thema wie die Mehrsprachigkeit unter
Migranten: Die "Kanak Sprak" kommt nur als literarisches Zitat aus den
Werken Feridun Zaimoglus vor. Die tatsächlich existierende
Mehrsprachigkeit von Millionen Deutschen (und anderen
Europäern) nimmt er als Chance leider nicht wahr, weder als
persönliche Chance für diese Menschen noch als Fundus
an geeigneten sprachlichen Beispielen.
Trotz dieser kleinen Lücken liegt Nikolaus Nützels
Erfolg darin, einen sehr komplexen Stoff gut verständlich und
unterhaltsam darzustellen. Er kann seine Freude an den Sprachen und
sein tief gehendes Verständnis für menschliche
Kommunikation mit leichten Worten und in einem angenehmen Stil
weitergeben.
Sprache kann faszinieren, Nikolaus Nützels Buch auch!
Eine sprachliche Frage an die Leser als Nachtrag: Sollte der zweite
Teil des Buchtitels nicht "Was den MenschEN zum Menschen macht"
heißen?
(Wolfgang Moser; 06/2007)
Nikolaus
Nützel: "Sprache oder Was den Mensch zum Menschen macht"
cbj, 2007. 224 Seiten. (Ab 12 J.)
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Nikolaus Nützel wurde 1967 in Rothenburg ob der Tauber geboren. Nach einer Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondenten und Dolmetscher absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München. Zeitgleich studierte er Journalistik und Romanische Sprachwissenschaft. Seit 1994 arbeitet Nikolaus Nützel als freier Journalist für "Deutschlandfunk", "Deutsche Presse Agentur" und den "Bayerischen Rundfunk". Als Autor verfasste er bereits einige Reiseführer. "Sprache oder Was den Mensch zum Menschen macht" ist sein erstes Jugendsachbuch.