Isaac Bashevis Singer: "Massel und Schlamassel"

Sprecher: Johannes Steck
(Hörbuchrezension)


Glück im Unglück

Warum hat der Eine immer nur Glück, dem Anderen hingegen gelingt selten etwas? Und jener da scheint das Unglück wahrhaft anzuziehen ...
Glück oder sein Nichtvorhanden beschäftigt die Menschen schon immer. Unzählige Glücksratgeber sind auf dem Markt, die auf die Frage "Wie sieht wahres Glück aus?" eine Antwort suchen.
"Massel und Schlamassel", das Hörbuch aus dem Hause "uccello", hat sie gefunden!

Das Glück ist jung, groß und schlank, hat rosige Wangen und sandfarbene Haare. Es trägt rote Reithosen, hohe Stiefel mit silbernen Sporen, eine grüne Jacke und einen Hut mit einer Feder. Sein Name: Massel.
Sein Antonym - das Unglück - nennt sich Schlamassel und ist nicht so ein Strahlemann, sondern ein auf einen knorrigen Stock gestützter, alter, humpelnder Mann, mit fahlem Gesicht und missmutigen Augen unter buschigen Brauen, einer vom vielen Trinken rot angelaufenen Nase und einem Bart, so grau wie Spinnweben. Er trägt keine so farbenfrohe Kleidung wie der Jungspund, sondern einen langen schwarzen Mantel und einen spitzen Hut.

So jedenfalls beschreibt der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1978 Isaac Bashevis Singer (1904-1991) die beiden Gegensätzlichen, die oft ziemlich nah beieinander agieren. Bereits 1984 erschienen seine längst zu Klassikern der Kinderliteratur gewordenen wunderbaren Geschichten in den USA. Sechzehn Jahre später wurden sie auch in Deutschland bei "Hanser" neu aufgelegt.

Nun gibt es Singer auch für die Ohren. Die titelgebende Erzählung wurde in einer wunderschönen musikalischen Lesung als Hörbuch herausgebracht.
Wie all seine Erzählungen, so ist auch diese ein kleiner Brillant, in dessen vielschichtigen Facetten turbulente Bilder, eine feine Philosophie und mehrdeutige Details flimmern. Was darin an Weisheit und Wahrheit enthalten ist, wird niemals mit erhobenem Zeigefinger, sondern immer heiter und gelassen vermittelt. Singers Diktion in "Massel und Schlamassel" offenbart eher einen märchenhaften Charakter, der kleine wie auch große Zuhörer anspricht.

Massel oder Schlamassel?
Massel und Schlamassel sind Geister, die das menschliche Auge nicht zu sehen vermag. Aber sie sind zu spüren.
Eines Tages schließen die Beiden eine Wette ab. Massel prahlt vor dem miesepetrigen alten Mann, dass er jeden Tag neue Ideen erfindet, wie er die Leute glücklich machen kann. Schlamassel hingegen - so behauptet er - würde stets mit der gleichen alten Masche arbeiten, immer nur altbewehrte Kniffe verwenden. "Ich wette, dass dir keine einzige neue Methode einfällt, etwas Schönes, das ich zustande gebracht habe, zu zerstören", meint Massel. Diese Behauptung will der alte Schlamassel natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Er hält dagegen.
Falls Schlamassel gewinnt, bekommt er ein ganzes Fass von dem kostbaren Wein des Vergessens. Sollte er verlieren, darf der Miesepeter seine rote Nase 50 Jahre lang nicht mehr in Massels Angelegenheiten stecken.
Die Wette gilt. Jetzt fehlt nur noch das "Opferlamm". Der Glücksbote will in die armseligste Hütte des nächsten Dorfes gehen und dem Menschen, der dort haust, Glück bringen, indem er ein Jahr an seiner Seite bleibt. Nach Ablauf der Zeit darf Schlamassel eingreifen, jedoch ohne seine alten, abgedroschenen Finten.

Der arme Schlucker ist schnell gefunden: Waisenjunge Tam. Ein Jahr wird Massel der unsichtbare Begleiter des bis dato vom Unglück Verfolgten. Und das Wunder geschieht. Fortan gelingt Tam jeder Handgriff, und er gewinnt sogar die Gunst des Königs, der zufällig im Dorf eine Wagenpanne hat. Dieser holt ihn an seinen Hof, und aus dem traurigen Bauernburschen in Lumpen wird ein redegewandter und geschickter Hofrittmeister, in den sich die reizende Prinzessin Nesika verliebt. Sogar gegen den intriganten Premierminister Kamzan weiß er sich erfolgreich durchzusetzen.

Nach genau einem Jahr kommt - wie vereinbart - Schlamassel zum Zug, der wahrlich in einer einzigen Sekunde die Wette zu seinen Gunsten umschlagen lässt ...
Dass sich die Geschichte doch noch zum Guten wendet, ist vermutlich nicht allein Schlamassels Trunksucht zuzuschreiben.

Großes Glück in kleiner Schachtel
Entscheidend zum Erfolg der überaus gelungenen, technisch brillanten Produktion von Martina Deppe-Spinelli (Redaktion und Regie) trägt neben dem erstklassigen Klezmer-Ensemble "Kolsimcha", (auch unter dem Namen "World Quintett" bekannt), erneut der bereits in Mark Twains "Prinz und Bettelknabe" brillierende Sprecher Johannes Steck bei.

Erstere begleiten ausdrucksstark, manchmal gute Laune verströmend, dann wieder melancholisch oder spielerisch intonierend, mit kurzen Zwischenspielen von Zeit zu Zeit harmonisch den Text. Die Klarinette ist dabei das dominierende, warme, weiche und sanfte Instrument.

Johannes Steck wiederum scheint geradezu prädestiniert für kindliche Charaktere wie den charmanten Glücksritter Massel. Zu Höchstform läuft er jedoch bei den beiden Fieslingen Schlamassel und Kamzan auf. Seine markante, aber niemals aufdringliche Stimme passt sich im Dialog nahezu mühelos an den jeweiligen Charakter an und erzeugt eine grandiose Vielstimmigkeit und ein Hörerlebnis allererster Güte.

Der besondere Clou ist jedoch die kleine, filigrane Massel-Holzfigur, die dem Hörbuch beiliegt. Wer mag, kann diesen wunderbaren Glücksbringer auch noch in den Farben des Titelbildes anmalen.

Fazit:
Gerade in dieser liebevollen Hörbuchproduktion mit musikalischer Begleitung nach einer Erzählung des Literaturnobelpreisträgers Isaac B. Singer trifft der Vermarktungsspruch von "uccello" besonders zu: "Großes Glück in kleiner Schachtel".
Empfohlen für Kinder ab 6 Jahren.

(Heike Geilen; 05/2008)


Isaac Bashevis Singer: "Massel und Schlamassel"
Sprecher: Johannes Steck.
uccello, 2008. 1 CD; Laufzeit ca. 44 Minuten. (Ab 6 J.)
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