Mirjam Pressler: "Wundertütentage"
Mirjam Pressler hat wieder einmal ein wunderbares Kinder- und Jugendbuch geschrieben. Ein Buch, in dem ein Junge die Identifikationsfigur ist; zart und sensibel gezeichnet, tiefgehend in seinen Gedanken und anspruchsvoll in seinen Literatur- und Weisheitszitaten.
Samuel geht in die vierte Klasse und wohnt
mit seinen Eltern sowie seiner fünf Jahre älteren Schwester
in einem alten Haus in der Nähe eines wunderschönen Parks.
Samuel ist ein intelligenter und sensibler Junge, der gerne und viel
liest, mehrere Sammlungen besitzt, darunter eine mit Käfern, und
viel über sich und die Welt nachdenkt.
Als die Familie bedingt durch den beruflichen Wechsel der Eltern in eine andere Stadt umzieht und dort ein
Reihenhaus bezieht, ist Samuel unglücklich. Sein geliebter Park mit all den Pflanzen und Tieren, seine gewohnte Umgebung
in der Schule, all das fehlt ihm, und er ist über Wochen traurig und in sich gekehrt.
Als er Nicki kennen lernt, die in einem Schuppen hinter ihrem
Elternhaus eine trächtige Katze versteckt hat, und dann auch die
Kätzchen füttert und pflegt, entwickelt Samuel zu ihr eine
wirklich tiefe Freundschaft. Eine sehr verständige und sensible
Lehrerin (so eine, wie man sie sich für sein eigenes Kind
wünscht, besonders wenn es ähnliche Charakterzüge hat
wie Samuel) führt ihn gut in die neue Klasse ein. Seine
Käfersammlung und seine weiteren Kenntnisse über die Natur
verschaffen ihm den Respekt seiner Mitschüler und begründen
eine neue Freundschaft, dieses Mal zu einem Jungen.
Auf der Suche nach einer neuen Heimat für die drei Kätzchen lernt Samuel Frau Ehrlicher kennen, eine alte Frau, mit
der ihn eine Freundschaft ganz eigener Art verbinden wird.
Als Samuel in der ersten Zeit im neuen Haus so traurig wirkt, sagt
seine Schwester Pauline zu ihm, dass im Leben jeder neue Tag wie eine
Wundertüte ist. Und so erlebt der Leser zusammen mit Samuel
schöne Wundertütentage und begegnet auf vielen Seiten auch
tiefen Wundertütenweisheiten.
Mirjam Pressler lässt Samuel ein Kinderbuch, lesen, das in den 1950er- und 1960er-Jahren
ein Auflagenklassiker war. Die Geschichte des elternlosen Remis aus Hector Malots
Buch "Heimatlos" (siehe Buchtipp weiter unten) hilft Samuel immer wieder,
seine eigene Situation zu reflektieren, denn er hat nicht nur einen Wohnungs-
und Schulwechsel zu verkraften, sondern sieht sich auch mit dem möglichen Scheitern
der Ehe seiner Eltern konfrontiert, weil sein Vater die berufliche Weiterentwicklung
der Mutter zu torpedieren sucht.
Mirjam Pressler schildert die Wirkung dieses Konflikts auf die Seele des Jungen sehr einfühlsam und mit einer wunderbaren,
für ein Kinderbuch wirklich anspruchsvollen Sprache.
Ein Junge, der gerne liest, der gerne in der Natur ist und viel
nachdenkt, nicht viel von Fernsehen und Computerspielen
hält - solche Identifikationsfiguren wünsche ich mir mehr
für die Bücher, die mein eigener kleiner Sohn in den
nächsten Jahren lesen wird.
(Winfried Stanzick; 05/2005)
Mirjam Pressler: "Wundertütentage"
Beltz & Gelberg, 2005. 208 Seiten. (Ab 9 J.)
ISBN 3-407-79893-8.
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Mirjam Pressler wurde 1940 in
Darmstadt geboren. Sie hat mehr als 30 Kinder- und Jugendbücher verfasst und über
200 Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus dem Niederländischen,
Flämischen, Hebräischen,
Afrikaans und Englischen übersetzt. Sie wurde für ihr Werk mit vielen
namhaften Preisen ausgezeichnet.
Mirjam Pressler starb nach langer Krankheit am 16. Jänner 2019 in Landshut.
Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Sieben und eine Hex"
Wenn sich sieben kleine Hexen auf eine wunderbar grau-neblige und verregnete
Woche im Schullandheim freuen und dann fast jeden Tag die Sonne scheint - das
ist doch wirklich Pech. Anstatt im Wald Touristen zu erschrecken, üben sie im
Keller das Starten und Landen auf den Übungsbesen oder bauen auf dem Komposthaufen
ein Gartenhaus für Fledermäuse.
Doch abends wird es richtig gemütlich im kalten, windigen Partyraum. Dort erzählen
sich die sieben Hexen gegenseitig Geschichten. Die sind überraschend, lustig
und manchmal sehr geheimnisvoll. Und nicht nur kleine Hexen können etwas aus
ihnen lernen! (Beltz & Gelberg. Ab 6 J.)
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"Geschichten von Jessi"
Jessi sprüht vor Ideen und hält damit die ganze Familie auf Trab. Mit ihrem
Bruder Achim fetzt sie sich bei jeder Gelegenheit. Und wenn sie eine verrückte
Idee hat, ist sie so leicht nicht aufzuhalten. Wie als sie dem Vater ins
Lottospielen pfuscht, weil sie meint, dass heute ein großer Glückstag ist.
Aber Jessi stiftet nicht nur Unruhe, sondern sie hat auch ein großes Herz: Als
Lutzibutzi, der nette Junge aus ihrer Klasse, eine knallblaue Brille tragen
muss, weiß Jessi, wie sie ihm das leichter machen kann. (Beltz & Gelberg.
Ab 7 J.) zur Rezension ...
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"Bitterschokolade"
Die 15-jährige Eva ist dick und fühlt sich deshalb einsam und von allen
ungeliebt. Ihren Kummer darüber frisst sie in sich hinein. Was der Michel nur
an ihr finden mag? Eva ist zum ersten Mal richtig verliebt und erlebt mit Michel
ein paar schöne Wochen. Ganz allmählich begreift sie, dass es nicht der Speck
ist, der sie von den Anderen trennt, und sie beginnt, sich selbst zu
akzeptieren. (Beltz & Gelberg. Ab 13 J.)
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"Die Zeit der schlafenden Hunde"
Johannas Familie gehört das größte Modegeschäft der Stadt. Doch bei einem
Besuch in Israel erfährt Johanna von dunklen Flecken in der Firmengeschichte:
Ihr Großvater hat während der Nazi-Zeit von der Enteignung jüdischer
Ladenbesitzer profitiert und das Geschäft - nach den Gesetzen des Dritten
Reiches legal - erworben. Johanna ist verunsichert: Offenbar gründet der
Wohlstand ihrer Familie auf Unrecht. Darf sie dazu schweigen? Oder soll sie
schlafende Hunde wecken? (Beltz & Gelberg. Ab 14 J.)
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"Ich sehne mich so. Die Lebensgeschichte der Anne Frank"
Durch ihr Tagebuch ist das deutsch-jüdische Mädchen Anne Frank, das 1945 im KZ
Bergen-Belsen starb, weltberühmt geworden. Mirjam Pressler zeichnet das Leben
der Anne Frank nach, von der Zeit vor dem Untertauchen bis zu den sieben Monaten
nach der Verhaftung. Entstanden ist dabei ein lebendiges Bild einer
widerspruchsvollen Persönlichkeit, von ihren Begabungen, Konflikten und Träumen,
und vor allem ihrem unstillbaren Verlangen nach Glück: "Ich sehne mich so
nach allem", schrieb Anne
Frank - nach Wissen und Gefühlen, nach Nähe und Eigenständigkeit, nach
Abenteuer und Geborgenheit. (Beltz & Gelberg. Ab 14 J.)
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"Golem stiller Bruder" zur Rezension ...
Noch ein Buchtipp:
Hector Malot: "Heimatlos"
Der berühmte französische Jugendbuchklassiker erzählt die
Geschichte eines aus vornehmer englischer Familie stammenden Knaben, der seinen
Eltern als Kleinkind geraubt worden ist, in Frankreich in ärmlichen, ja elenden
Lebensverhältnissen aufwächst, von seinen Pflegeltern an einen wandernden Komödianten
verpachtet wird und nach wechselvollen Abenteuern das Geheimnis seiner Herkunft
aufklärt.
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