Albrecht Gralle und Michael Wrede: "Oskar - oder Was wäre wenn ...?"
Ein skurril-spannendes Spiel mit dem
Konjunktiv
Oskar ist ein unauffälliger, verträumt wirkender kleiner
Junge mit leiser Stimme. Doch er hat die Gabe, Unglücksfälle vorauszusehen. So
gelingt es ihm am 23. Mai um 12 Uhr 33 - Exaktheit ist für Oskars "Fachgebiet"
natürlich wichtig -, ein dickes Buch aufzufangen, das vom Kirchendach
fällt.
Das ist gut und schön. Was aber wäre geschehen, wenn Oskar das Buch nicht gefangen
hätte? Die Geschichte geht im Konjunktiv weiter: Das dicke Buch hätte eine ganze
Kette zunehmend unglücklicher Ereignisse hervorgerufen, bis schließlich Oskars
Heimatstadt zunächst dem Chaos und dann dem Vergessen anheim gefallen wäre.
Denn wenn der reiche Graf, der nach einigen turbulenten Seiten auf zerbrochenen
Eiern ausrutscht - oder eben: ausgerutscht wäre -, über lachende Zuschauer erbost
ist und keine Steuern mehr zahlt, verarmt die Stadt, es gibt keine Arbeit mehr,
und folglich kommt es zu einem Aufstand, zerbrochenen Schaufenstern, Verwahrlosung
und schließlich dazu, dass potenzielle Besucher die Stadt meiden.
"Zum Glück aber hat Oskar ja das dicke Buch auf dem Dach
entdeckt und dadurch die Stadt vor dem Vergessen bewahrt ...!"
Ob
Fünfjährige den Verknüpfungen aus Ursache und Wirkung bis zum Ende folgen
können, sei dahingestellt. Gelegentlich benötigen die meisten jüngeren Kinder
für die auf den kleinen gräflichen Unfall folgenden Ereignisse sicher eine
Erklärung. Das macht aber nichts, denn die Kinder haben ein enormes Vergnügen
daran, die sich aufschaukelnden Ereignisse zu verfolgen. Immer wieder wird
aufgeregt zurückgeblättert: Wie kam das noch mal zustande? Und als die Spannung
fast zu intensiv wird, löst der Indikativ den Konjunktiv ab: Stimmt, das hat
doch alles so gar nicht stattgefunden! Denn Oskar hat das dicke Buch ja
rechtzeitig bemerkt!
Das Spiel mit den Möglichkeiten macht Kindern ohnehin
sehr viel Spaß. Auf der Basis der Oskar-Geschichte kann man sich und den
Nachwuchs zu eigenen denkbaren Varianten inspirieren lassen. Nebenbei freunden
sich die Kinder noch mit dem ungeliebten Konjunktiv an. Die Sprache ist vor- und
grundschulkindgerecht, jedoch legt der Autor spürbar Wert auf einen breiten
Wortschatz und sauberen Stil. Die großen, in ansprechend warmen Farben
gehaltenen Bilder verdienen nicht weniger Beachtung als die Geschichte, denn sie
sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet und doch nicht überladen, bilden die
Menschen in ihren misslichen Situationen ausdrucksvoll, aber nie zu beängstigend
ab und enthalten dieselbe Hintergründigkeit, die man auch im Text bemerkt.
Manche originelle oder skurrile Einzelheit erschließt sich noch nach mehrmaligem
Ansehen, die eine oder andere wohl nur Erwachsenen, aber die sollen ja auch
etwas vom Vorlesen und Mitträumen haben.
"Oskar" macht auf mich einen rundum
guten Eindruck: Das Buch ist spannend geschrieben und hervorragend bebildert, es
hat ein nicht alltägliches, aber auch nicht völlig unrealistisches Thema, und
ein pädagogischer Nutzen ergibt sich ebenfalls. Der stabile Einband dürfte den
üblichen Härten des Kinderbuchlebens zudem ausreichend lange gewachsen
sein.
(Regina Károlyi; 02/2006)
Albrecht Gralle und Michael Wrede: "Oskar - oder
Was wäre wenn ...?"
BajazzoVerlag, 2006. 25 Seiten. (Ab 5 J.)
Buch bei amazon.de
bestellen
Albrecht Gralle, 1949 in Stuttgart
geboren, studierte evangelische Theologie. Nach seiner Vikariatszeit in der Nähe
von Hamburg verbrachte er fünf Jahre im kirchlichen Entwicklungsdienst in
Westafrika. Seit 1976 schreibt Albrecht Gralle Kurzgeschichten, Romane und
Kinderbücher.
Michael Wrede, geboren 1954, arbeitete während 15 Jahren als
Architekt. Danach erfüllte er sich einen Traum und studierte an der Hochschule
für angewandte Wissenschaften in Hamburg Kinder- und Jugendbuchillustration und
Malerei. Michael Wrede illustriert und schreibt Bilderbücher und Schulbücher und
nimmt mit seiner großformatigen Malerei regelmäßig an Ausstellungen
teil.
Weitere Bücher von Albrecht Gralle:
"Der Gürtel des
Leonardo"
Im Jahr 1512 reist der elf jährige Philipp von Regenspurg über Zürich nach Mailand.
Dort soll er dem berühmten Erfinder und Maler Leonardo da Vinci den Plan
eines Fluggerätes übergeben, den sein Onkel entworfen und in einen Gürtel
eingenäht hat, damit ihn niemand entdeckt. Aber zwei unheimliche Agenten wissen
schon davon und verfolgen den Jungen auf der ganzen Reise. Denn die Erfindung
könnte auch in einem Krieg eingesetzt werden.
Auf einer
Eisenbahnfahrt im Jahr 2002 von Hannover über Zürich nach Mailand liest Frau
Ebeling ihrem neunjährigen Enkel Conrad das Buch "Der Gürtel des Leonardo" vor.
Beim Zwischenhalt in Zürich gehen Conrad und seine Oma vierhundertneunzig Jahre
später auf Spurensuche von Philipp und erleben dabei selbst ein
Abenteuer.
Ein spannender Roman, der das Leben der Menschen in der
Renaissance und die Atmosphäre dieser Zeit schildert, ohne belehrend zu sein.
Wir erfahren beiläufig etwas über das Verhältnis zwischen Erwachsenen und
Kindern, über die Ess- und Trinksitten damals und über die für uns recht
merkwürdigen hygienischen Gewohnheiten ... (BajazzoVerlag. Ab 10 J.)
Buch bei amazon.de
bestellen
"Die Rückseite der
Angst"
John aus Ghana, der in Hamburg lebt, wird von einer Gruppe Skinheads bedroht.
Mit Mut, Fantasie und kluger List gelingt es ihm und seinen Freunden, die Angst
zu überwinden und sich erfolgreich wehren. (BajazzoVerlag. Ab 11 J.)
Buch bei amazon.de
bestellen