Christine Nöstlinger: "Die Sache mit dem Gruselwusel"
Illustrationen von Franziska Biermann
Die Angst vor dem Dunkel oder Wie einer auszog, um seine Schwester das Fürchten zu lehren
Die österreichische Schriftstellerin Christine Nöstlinger sagt von sich selbst, dass sie ein "wildes und wütendes Kind" gewesen sei. Die studierte Grafikerin und Journalistin veröffentlichte 1970 ihr erstes Werk, "Die feuerrote
Friederike", ein Kinderbuch um ein zu dickes Mädchen mit knallroten Haaren, die einige ungewöhnliche Kräfte haben.
Das vorliegende Buch vom Gruselwusel allerdings ist nicht nur ein
Bilder- und Geschichtenbuch, nein, es ist auch ein Buch zum Basteln und
Selbermachen. Umrahmt wird die Geschichte um den ängstlichen
Joschi und seine mutige kleine Schwester Mizzi von einer
Bastelanleitung für einen Gruselwusel, den man mit ein bisschen
Hilfe von Mama, wenn auch vielleicht nur die "Zutaten" von ihr kommen,
selbst erschaffen kann.
Was aber eigentlich ist das, so ein Gruselwusel?
Joschi ist eigentlich nur ein bisschen ängstlich, kein richtiger
Angsthase, zumindest nicht so einer, wie man ihn sich vorstellen
würde, wenn man an einen Angsthasen,
also einen richtigen, denken würde. Aber seine kleine Schwester
Mizzi zieht Joschi immer damit auf, dass er Angst vor Gewittern und der
Dunkelheit hat, und da beschließt Joschi: Er wird ein Gespenst
basteln, einen Gruselwusel. So will er es nennen. Einen Gruselwusel, um
damit seine Schwester das Fürchten zu lehren. Joschi ist
handwerklich auch ganz begabt und bekommt sein Gespenst so hin, wie er
es ich vorgestellt hat. Als er ihm aber mit ein bisschen Wolle richtig
gruselige weiße Haare auf den Kopf kleben will, wird er
wütend, weil der
Klebstoff überall an ihm hängenbleibt. Somit sind auch die
Wollhaare überall an seinen Fingern, nur nicht auf dem Kopf vom
Gruselwusel. Und da er nicht fluchen darf, weil seine Oma ihm das
verboten hat, sagt er ein selbst ausgedachtes Fluchwort daher: "Gruselfurzwuselpups!" Dreimal sagt er das, weil er so wütend ist. Und dann geschieht etwas ganz Sonderliches: sein Gruselwusel wird lebendig!
"Wer einen Gruselwusel bastelt und dreimal Gruselfurzwuselpups sagt, macht ihn lebendig. Hast du das nicht gewusst?", platzt der Gruselwusel heraus.
Und damit geht der Spaß erst richtig los. Denn Joschis
Gruselwusel ist noch ein kleines Gespenster-Exemplar. Er kann nicht
gleich wimmern und stöhnen und erschrecken, das muss er erst noch
lernen. Und vor allem braucht er täglich seine Ration
Spinnenweben, denn davon ernähren sich die Gruselwusel.
Außerdem kann man ein Baby-Gruselwusel nicht einfach allein
lassen, da passieren die unglaublichsten Sachen. Als Mizzi ihrem Bruder
dann auch noch auf die Schliche kommt, wird das Chaos ganz perfekt.
Aber wie wird Mizzi jetzt eigentlich das Gruseln lernen?
Ein Kinderbuch mit Mehrwert
Die nötigen Utensilien, die man zum Selberbasteln des Gruselwusels
benötigt, sind ausführlich aufgeführt bevor die
eigentliche Geschichte beginnt; zum Beispiel braucht man ein
Plastiksackerl, alte Socken, ein bisschen Nagellack, und wenn Mama den
nicht hergibt, gehen auch Filzstifte. Auf der letzten Seite folgt dann
die chronologische Anleitung, um den eigenen Gruselwusel
"zum Leben zu erwecken".
Das Buch ist eine witzige und schön gestaltete Bearbeitung des
Märchenstoffes der Gebrüder Grimm "Von einem, der auszog, das
Fürchten zu lernen". Das Gerüst des Märchens wird in
einen Familienstoff eingebunden und verwirkt gleichzeitig noch die
Problematik der Geschwisterpolarität und des innerfamiliären
Wettkampfes.
Dabei ist es vor allem auch die Sprache, die begeistert. Sehr lebensnah
und kokett spielen die Dialoge und Vorgänge mit der Alltagssprache
und trauen sich, die Dinge beim Namen zu nennen. Doch wirkt das nie
gekünstelt oder überbordend. Die Geschichte wird lebendig,
macht Spaß, und die Gefühle von Joschi und Mizzi leben erst
so richtig auf.
Christine Nöstlinger verarbeitet auch in diesem Kinderbuch einen
literarischen Stoff, der gegenwärtig und situationsgebunden
umgeformt wird. Dadurch wird eine intertextuelle Ebene erzeugt, die
für lesebegeisterte und wissende Kinder durchaus einen
Wiedererkennungseffekt in sich bergen könnte und somit die offene
Welt der Geschichten, deren Weiterverwendung und Umformung andeuten und
so vielleicht auch zum Vernetzen jenes großen, vorhandenen
Geschichtenwissens beitragen kann. Dies aber nur am Rande. Das Buch ist
nicht zuletzt eine Freude für den sehenden Sinn.
Die Illustrationen von Franziska Biermann, die Kommunikations- und
Illustrationsdesign mit Schwerpunkt Kinderillustrationen studierte,
sind ansprechend, farblich dezent und dennoch kräftig. Für
die kleineren Kinder gibt es viel zu entdecken, viele Details, aber
klare Formen. Somit wird das Kinderbuch ansprechend für
größere Kinder, die ihre Fantasie und Kreativität
anregen wollen und kleinere Sprösslinge, die sich an der doch
recht langen Geschichte noch nicht mit Ausdauer festhalten können.
Das Buch erscheint mit einem Aufkleberbogen und bietet so noch ein
zusätzliches Plus für die Nachbereitung der Geschichte sowie
einen realen Bezug, der das Gelesene immer wieder aufleben lassen und
so durch das eigene Bastelerlebnis auch immer wieder neu geformt werden
kann.
"Die Sache mit dem Gruselwusel" ist ein Kinderbuch, das für Kleine
ab 5 (wohlgemerkt verlangt die Geschichte Einiges an Aufmerksamkeit,
kann aber auch durch die Bilder erzählt
werden) bis 8 Jahren geeignet ist und für viele Arten und Weisen
eine Beschäftigung darstellt. Nicht nur das Lesen wird riesige
Freude bereiten, auch die Illustrationen und der Anstoß zur
eigenen Beschäftigung mit dem Buch und der Bastelanleitung, die
intelligent in die Geschichte eingefasst ist und sie auch noch einmal
umrahmt, dürften viele Stunden Freude für die ganze
lesebegeisterte Familie bedeuten!
(Christin Zenker; 09/2009)
Christine
Nöstlinger: "Die Sache mit dem Gruselwusel"
Franziska Biermann (Illustratorin).
Nilpferd im Residenzverlag, 2009. 64 Seiten. (Ab 5 J.)
Buch
bei amazon.de bestellen