Navid Kermani: "Ayda, Bär und Hase"

Navid Kermanis erstes Kinderbuch. Mit Zeichnungen von Karsten Teich.


Ayda ist fünf Jahre alt und wohnt im Kölner Viertel Eigelstein direkt hinter dem Dom. Ihre Eltern stammen aus dem Iran und haben sich in Köln während ihres Studiums kennen gelernt.  Aydas Vater, sie nennt ihn auf persisch "Baba", ist ein großer und treuer Fan des 1. FC Köln, obwohl die Mannschaft oft verliert. Aber treue Fans stört das nicht. Ayda versteht zwar nichts von Fußball, aber Babas Treue zu seinem Verein imponiert ihr doch sehr.

Ayda ist ein intelligentes Kind. Sie besucht den Kindergarten, hat dort aber kaum Freunde. Paul und Lisa, mit denen sie am meisten zu tun hat und die beide ein ganzes Jahr älter sind als sie, nennen Ayda einen "Knirps", obwohl Ayda doch bald zusammen mit den beiden in die Schule kommt.

Ayda fühlt sich unglücklich und allein; betrübt in der Seele. Sie erzählt abends ihrem Vater davon, und der versucht ihr klar zu machen, dass das Traurigsein zum Leben dazu gehört, und es eben nur manches Mal Momente reinen Glücks gibt. Ayda ist nicht ganz davon überzeugt, und als sie sich am nächsten Tag im Kindergarten wieder so allein fühlt, fährt sie, ohne jemandem Bescheid zu sagen, mit ihrem kleinen Fahrrad bis zum Rhein und dort am Ufer entlang.

Sie passt - in Gedanken versunken - einen Augenblick nicht auf und stürzt. Blutend und verzweifelt liegt sie auf dem Asfalt des Fahrradwegs, als ein Hase und ein Bär vor ihr stehen, die im nahen Wäldchen wohnen. Sie bringen Ayda zurück, und nun beginnt die Geschichte einer großen Freundschaft.
Aydas Eltern sind von den beiden neuen tierischen Freunden ihrer Tochter begeistert, sie dürfen bei Ayda übernachten, Ayda darf sie mit in den Kindergarten nehmen, und als die Ferien beginnen, macht es Aydas Vater sogar möglich, dass die beiden in einem Wohnwagen nach Spanien mitfahren können, wo sich die Großfamilie einmal im Jahr trifft. Verwandte mit Onkeln, Tanten, Großeltern, Cousins und Cousinen kommen aus dem Iran und aus den USA.

Ayda verlebt einen glücklichen Sommer, zumal sie dort in Spanien noch einen Esel kennen lernen, der dann aber leider nicht nach Deutschland mit zurück kann.
Doch sie haben dem armen Esel zu einer neuen Unterkunft verholfen, und was Ayda dem Esel zum Abschied  sagt, ist die wunderbare Schlüsselbotschaft des ganzes Buches:
"Wenn man unglücklich ist, muss man sich nicht damit abfinden, sondern versuchen, es zu ändern!"

Zurück in Deutschland helfen die beiden Tiere Ayda, sich auch in der Schule durchzusetzen, indem sie bei einem Wettkampf die großen Jungs besiegen. Da Ayda besonders an den Wochenenden den Hasen und den Bären im Wäldchen besuchen kann, ist am Ende ihr Glück vollkommen.

Navid Kermani, 1967 in Siegen geboren, ist Orientalist und Islamwissenschaftler. Er besitzt die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft und lebt als freier Schriftsteller und Regisseur in Köln. Wichtige Themen seiner Werke sind das Verhältnis zwischen Westen und Orient, der Kampf bzw. der Dialog der Religionen, sowie die menschliche Ursuche nach dem Gottesbild und dem Sinn des Leids. 

Navid Kermani hat  - wohl ganz speziell für seine Tochter, nehme ich an - ein schönes Kinderbuch der Hoffnung geschrieben, das Kindern Mut machen kann, sich für neue Erfahrungen zu öffnen, auch dort, wo sie fremd sind oder sich fremd fühlen.
Er erzählt viel von persischen Redewendungen und Sitten. Schön ist z.B. die Schilderung von "taarof", jener persischen Form der Höflichkeit, die dem Anderen immer seine Würde lässt, auch dann, wenn man ihn hart kritisiert.

Und er pflegt einen ganz eigenen Stil, als Autor mit seinen kleinen Lesern in einen lockeren und lustigen Dialog zu treten, bevor er dann unvermittelt mit der Geschichte fortfährt.

Ein sehr gelungenes Buch eines Autors, dessen Werke für Erwachsene noch der weiteren Entdeckung und Würdigung harren. Glückwunsch zu diesem Kinderbuchdebüt!

(Winfried Stanzick; 06/2006)


Navid Kermani: "Ayda, Bär und Hase"
Illustrationen von Karsten Teich.
Picus Verlag, 2006. 155 Seiten. (Ab 5 J.)
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Lien zu Navid Kermanis Netzseite: http://www.navidkermani.de/.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Das Buch der von Neil Young Getöteten"

Bald nach ihrer Geburt wird die Tochter eines jungen Paars von furchtbaren Bauchkrämpfen geplagt, Tag für Tag jene Stunden grausamer Qual - Drei-Monats-Kolik nennen es die Freunde und Verwandten verharmlosend, das Geburtssouvenir eines zynischen Gottes, schimpft der Vater und ballt die Faust gen Himmel. Nach vier durchwachten Nächten rettet Neil Young das Gottvertrauen der Familie. Schon mit den ersten Gitarrenklängen beruhigt sich das Kind. Erstaunlich aber: der betörende Effekt stellt sich nur und ausschließlich bei der Musik Neil Youngs ein. Für Vater und Tochter beginnt eine Reise durch den Kosmos des kanadischen Kultmusikers hin zu verlorenen und wiedergefundenen Paradiesen und zur Möglichkeit ekstatischen Erlebens im Alltag.
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"Vierzig Leben"
Dieses Buch handelt vom Glück. Von der Freiheit. Von der Würde. Und siebenunddreißig weiteren Königswörtern, bekannt aus Andacht und Werbung, die Navid Kermani literaturhistorisch schüttelt, philosophisch zersägt und eiskalt gegen die Wand schmeißt - um am Ende jene Winzigkeit wundervoll poetisch ausgekratzt zu haben, die an ihnen noch sagbar ist, ohne zu relativieren. Wie groß diese Winzigkeit ist, wie unendlich: Holgers Sehnsucht nach der Dunstabzugshaube im Saturn (oder ist es die Sehnsucht nach der blaugewandeten Verkäuferin?). Adornos Wahrheit in der Falschheit seines Whiskysatzes. Überhaupt Whisky. Und die Demut am Tresen. Und Fußball natürlich, der jämmerliche 1. FC Köln.
Was kann es da noch mehr geben? Allenfalls Sex, und Anke Pannkes Tapferkeit im witzfreien Ehebett. Spätestens aber, wenn Jesus durch den Deutzer Planet Büschel schreitet oder Thorsten den Tod in Gegenwartsform schildert, weiß man, dass Heilige verschroben, gottlos oder tieftraurig sein mögen, nur eines nicht: harmlos. In vierzig Leben, vierzig Heiligenviten aus Köln-Eigelstein und Umgebung gelingt Navid Kermani nichts Geringeres als ein Katechismus unserer Zeit. (Ammann)
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"Du sollst"
Gibt es für das Betreten und unser Leben in der Intim-Landschaft zwischen Mann und Frau Regeln? Es gibt die Gesetze jenes Mannes, der mit zwei Schrifttafeln beladen vom Berg Sinai zu seinem Volk herunterstieg, um ihm mit dem Imperativ "Du sollst nicht ..." die Regeln zu geben. Navid Kermani tritt in diese Landschaft ein, und was er uns von seinen Begehungen und Wanderungen durch die Täler und auf die Höhen dieser Topografie erzählt, ist nichts weniger als ein erotisches Itinerarium, ein Stationenverzeichnis des an Konflikten und Reibungspunkten reichen Zusammenlebens von Mann und Frau. Sein Imperativ "Du sollst" setzt die biblischen Gesetze nicht außer Kraft, nein, er behauptet ihre Gültigkeit, indem er auf das Verhalten, die Ängste und Sündenfälle zwischen zwei heute Liebenden blickt - und solchen, die sich einmal geliebt haben. Unverblümt ist die Sprache und zugleich voller Poesie, eine Sprache, die an die heiligen Bücher der Menschheit erinnert, auch und gerade, wo sie den Schmutz nicht scheut. Den Fängen dieser deftigen Geschichten werden wir uns so schnell nicht entziehen können, auch wenn sie uns zum Widerspruch herausfordern in ihrer fast schon prophetischen Konsequenz. "Du sollst" ist ein Buch, das auf den Nachttisch aller Liebenden gehört. (Ammann)
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"Der Schrecken Gottes. Attar, Hiob und die metaphysische Revolte"
In seinem Buch stellt Navid Kermani eine Frömmigkeit vor, die verstört und provoziert: Es ist die Frömmigkeit der Heiligen und Narren, die Gott so nahe sind, dass sie allen Respekt vor ihm verloren haben. Sie begehren auf gegen den grausamen Schöpfer einer Welt voller Leiden. Ihr Aufstand gegen Gott erschüttert den Glauben, lässt aber auch den Ungläubigen nicht unberührt. Wer dieses glänzend geschriebene Buch gelesen hat, wird anders denken als zuvor - über Gott und über die Welt.
Das Buch der Leiden des klassischen persischen Dichters Attar ist die vielleicht schwärzeste Dichtung, die je von einem Menschen geschrieben worden ist. Radikal, alle Beschwichtigungen und Tröstungen vernichtend ist Attars Blick auf die Welt, aberwitzig sein Sarkasmus, grandios der Kosmos des Leidens, den er entwickelt. Kermani nimmt das Buch der Leiden zum Ausgangspunkt, um die Geschichte jener Religiosität zu erzählen, die Gott kennt, aber Ihm zürnt: eine Gegen-Theologie, die lange vor Hiob einsetzt und mit Georg Büchner noch längst nicht zu Ende ist. Sie zieht sich durch viele Religionen, vor allem aber verbindet sie auf hintergründige, bislang unbekannte Weise das Judentum, den Islam und die europäische Moderne - das Alte Testament, den Sufismus und die deutsche Literatur, wo sie am dunkelsten ist. Navid Kermani zieht den Leser mit fast magischer Kraft in den Bann eines Glaubens jenseits der Rechtgläubigkeit. Die offene Ratlosigkeit, zu der sich diese häretische Frömmigkeit bekennt, dürfte der Welt, wie sie sich auch in unserer Zeit durch Krieg und Hunger, Erdbeben und Sturmflut zeigt, eher gemäß sein als die Antworten der Freitags- und Sonntagspredigten. (C.H. Beck)
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"Schöner neuer Orient. Berichte von Städten und Kriegen"
Erhellend, ernüchternd, irritierend: Navid Kermanis brillante Reportagen machen das scheinbar Irrationale des Orients verständlich, das Fremde beängstigend vertraut. Sie führen uns zwischen Ägypten und Indonesien in all jene Regionen der islamischen Welt, die heute im Brennpunkt stehen: der Nahe Osten ebenso wie Zentralasien, Iran ebenso wie Pakistan. So präzise er einzelne Situationen und Menschen schildert, so weisen doch die Schlüsse, die er zieht, immer über den Gegenstand seiner Reportage hinaus. Es sind Analysen auch unserer Welt, die aus der konkreten Erfahrung erwachsen.
Der Krieg als Wirtschaftsunternehmen, Städte, die ihren Zerfall organisieren, die Hauptstadt des größten muslimischen Landes als Tempel des Konsums, der religiöse Extremismus als die perfideste Form der Globalisierung - der Orient, den Navid Kermani bereist, hat mit den hübschen Märchen aus tausendundeiner Nacht so wenig zu tun wie mit den finsteren Klischees von Allahs bärtigen Kriegern. Die Welt, die sich in seinen Reportagen auftut, ist modern, erschreckend modern sogar: In vielen Aspekten nimmt sie vorweg, was auch unseren Wohlstandsgesellschaften droht, wenn ihre Fliehkräfte übermächtig werden sollten. Immer umfassendere Ordnungsstrukturen regulieren unser Leben wirtschaftlich, technologisch und politisch und führen zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse und Werte. Zugleich wächst die Kluft zu jenen Ländern, Regionen oder Stadtvierteln, die mit der Entwicklung nicht mehr mithalten, bis sie gänzlich von unserer Realität abgekoppelt sind - um am Ende um so gewaltsamer in unser Bewusstsein zurückzukehren. (C.H. Beck)
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