Gunnel Linde: "Joppe"


Ole ist ein glückliches Kind. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass er noch in den Kindergarten geht. Er hat eine liebenswürdige Mutter und einen Maulwurf als Kuscheltier, der sein bester Freund ist. Joppe ist überall mit dabei. In der Badewanne, im Bett, am Mittagstisch, am Spielplatz, in der Schule... Es ist furchtbar traurig, wenn so ein Kuscheltier verloren geht. Das passiert Ole öfters. Nur wenige Tage, nachdem ein Hund den Maulwurf fast zerfranst hat, bleibt Joppe im Aufzug stecken. Doch ein Mieter des Hauses setzt alle Hebel in Bewegung, dass er nicht zu lange alleine sein muss. Der Name des Mieters ist Olsson.

Im Laufe der Zeit ist Herr Olsson immer zur Stelle, wenn Joppe verloren geht. Wie ein guter Engel wagt er sich mitten auf die Müllkippe, um nach Oles bestem Freund zu graben. Und schließlich ist er eine ganze Nacht lang damit beschäftigt, Bausand aus einer Grube zu befördern, um den kleinen Maulwurf Ole zurückzugeben, der ihn vom siebten Stock aus fliegen ließ, weil er ja wusste, dass sein Freund weich landen wird. Bei so vielen Rettungsaktionen kommen sich Olsson und Oles Mama näher. Sie verlieben sich ineinander. Und Ole möchte sowieso nicht, dass seine Mutter mit diesem dummen Eddie ins Kino geht, der ein grauenhafter Angeber ist und alles nach seiner Pfeife tanzen lassen will.

Ole lässt eines Tages Joppe im Bus liegen, und ein Mädchen namens Sonja findet das Stofftier. Seine Mutter möchte aber, dass Sonja den Maulwurf wieder an den Besitzer zurückgibt. Da trifft es sich gut, dass Olsson Joppe ein kleines Halsbändchen umgebunden hat, auf dem die Telefonnummer von Kerstin - Oles Mama - eingeprägt ist. So tauchen Ole und seine Mutter bald bei Sonja auf und holen sich Joppe ab. Sonja und Ole werden die besten Freunde. Olsson und Kerstin heiraten schließlich, und Joppe und Ole möchten das auch.

Die Geschichte von Joppe, Ole, Olsson, Kerstin und Sonja verzaubert von Anfang an. Es ist auch nicht so, dass sie nur für Kinder geeignet wäre. Wer hat schließlich nie als Kind ein Stofftier gehabt, welches er über alles liebte? Und wer war nicht sehr traurig, als dieses Stofftier plötzlich verschwunden ist? Einen Engel aus Fleisch und Blut wie Olsson hätten wir uns als Kinder alle gern gewünscht. Einen Engel, der immer da ist, wenn wir ihn brauchen. Der unsere Kuscheltiere selbst dann findet, wenn die Chance noch so klein sein mag.

Hinter der märchenhaften Struktur der Erzählung stecken viele bedeutsame Wahrheiten. Die Wichtigkeit eines Stofftieres für ein Kind darf nie unterschätzt werden. Ein Kind braucht ein Wesen, das seine Fantasie anregt; in schlechten Tagen Trost spendet, und in guten Tagen ein lustiger Begleiter ist. Olsson hat seit vielen Jahren einen Teddybär als seinen Freund. Er ist schon häufig geflickt worden; doch er kann sich von ihm nicht trennen. Olsson weiß, wieviel Bedeutung Joppe für Ole hat. Er nimmt den Buben nicht nur ernst, sondern kann sich in ihn hineinversetzen. Wir alle waren einmal Kinder, und doch verdrängen wir es allzu oft. Die Welt der Kinder ist von Überraschungen und fantastischen Reichtümern überzuckert. Heutzutage mag es schwer fallen, Kinder Kinder sein zu lassen. Sie werden allzu oft als "kleine Erwachsene" maskiert, und damit entgeht ihnen die herrlichste Zeit ihres Lebens. Eltern haben die wesentliche Aufgabe, Kindern eine Kindheit zu schenken, die es ihnen später ermöglichen mag, ihrer Welt mit Neugier und Interesse zu begegnen und vieles kritisch zu hinterfragen. Sie müssen sie nicht in Anzüge stecken, ihnen Krawatten umbinden und mit allerlei sonstigem Unsinn die Sicht auf die Herrlichkeit der Welt verstellen.

Olsson weiß, was für Kinder Vorrang hat. Und damit bezaubert er nicht nur Ole, sondern ebenso seine Mutter. Einen Vater wie Olsson können sich Kinder nur wünschen. Denn Olsson ist bereit, sein Kind nicht irgendeiner "Karriere" unterzuordnen, die allzu oft in eine innere Katastrophe ausarten kann. Ein Kind darf von Geburt an nicht vernachlässigt werden. Wenn dies geschieht - das wissen wir alle - kann es später immense Probleme geben, welche nur schwer zu lösen sind. Lieber ein bisschen weniger karrieristisch denken und für das Kind da sein, wenn es uns braucht. Dieses Buch ist in diesem Sinne wohl auch eine Botschaft an die Väter dieser Welt: Seid wachsam und auf der Seite eurer Kinder!

Erst heute hat der Rezensent das Kuscheltier einer jungen Dame an der Supermarktkasse sitzen sehen. Einen flauschigen Koala. Die junge Dame hat ihren Liebling so platziert, dass sie ihn immer sehen kann. Ganz so wie bei Ole und Joppe. In einem harten Arbeitsalltag vermag so ein Kuscheltier zu beruhigen. Und starke Nerven brauchen wir älteren Kinder in dieser schwierigen Welt allemal.

(Klabauter; 09/2005)


Gunnel Linde: "Joppe"
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer.
Gerstenberg, 2005. 128 Seiten. (Ab 5 J.)
ISBN 3-8067-5092-0.
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Gunnel Linde, geboren 1924 in Stockholm, hat über 40 Kinderbücher veröffentlicht. Für ihr Gesamtwerk ist sie mit dem Astrid-Lindgren-Preis geehrt worden. "Der weiße Stein", ihr wichtigstes Buch, wurde mit der Nils-Holgersson-Plakette ausgezeichnet.

Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):

Gunnel Linde, Kat Menschik (Illustr.): "Der weiße Stein"

Was kann an einem gewöhnlichen weißen Stein schon Besonderes sein? Ohne den weißen Stein, um den es hier geht, gäbe es diese Geschichte nicht. Ohne ihn hätten sich Fideli und der König der Gefahren, das heißt, eigentlich Fia und Hampus, womöglich nie kennen gelernt! Der Stein verleiht ihnen ungeahnten Mut: Hampus hätte es nie gewagt, die Kirchturmuhr in stockdunkler Nacht mit einem Gesicht zu verzieren, für den König der Gefahren dagegen war das ein Leichtes! Und Fia hätte unmöglich einen ganzen Tag lang schweigen können, Fideli sehr wohl. Doch leider gibt es da auch noch die Erwachsenen: die bösartige Tante Malin, die hinter dem Kirchturmgesicht ein Komplott vermutet, und den Amtsrichter, der unbedingt herausbekommen will, wer ihm das hart gekochte Ei ins Bett gelegt hat ...
Eine Geschichte voller Poesie und Magie und eine höchst spannende Geschichte dazu. Gunnel Linde versteht es wie ihre Zeitgenossin Astrid Lindgren auf unverwechselbare Weise Geschichten zu erzählen, die von zeitloser Qualität sind. (Ab 8 J.)
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Gunnel Linde, Kat Menschik (Illustr.): "Wie eine Hecke voll Himbeeren"
Die erste große Liebe lässt einen die Welt mit anderen Augen sehen und stellt alles in Frage, sogar das Leben selbst ... Sylvia ist zum ersten Mal verliebt. Aber nicht wie ihre Freundin Meggan, die Bäumchen-wechsle-dich mit den Jungen spielt. Pelle ist ihre große Liebe, und die stellt ihr bisheriges Leben vom Fuß auf den Kopf. Alles verändert sich - Freundschaften zerbrechen und entstehen neu, das Verhältnis zu ihren Eltern wird auf die Probe gestellt. Doch nach dem ersten wundervollen Jahr mit Pelle kommen die großen Sommerferien. Und nach den Sommerferien muss Pelle eine Klasse überspringen, dass hat seine ehrgeizige Mutter sich in den Kopf gesetzt, die ihren Pelle am liebsten ganz für sich allein hätte. Pelle und Sylvia sehen sich immer seltener, bis Sylvia schließlich gar nicht mehr weiß, ob Pelle sie auch nur noch ein kleines bisschen liebt ...
Es ist wunderbar zu lesen, mit welchem Einfühlungsvermögen Gunnel Linde all die Höhen und Tiefen beschreibt, die zu jeder ersten großen Liebe gehören. (Ab 11 J.)
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