Christiana Engelmann, Claudia Kaiser, Cornelia Gyárfás: "Möglichst Goethe"
Ein Lesebuch
Leben und Werk eines der größten deutschsprachigen
Dichter in einer spannenden und abwechslungsreichen Präsentation
Der Dichterfürst wirkt auf heutige Jugendliche wie im Grunde alle
Klassiker ohne eine auf sie zugeschnittene Einführung als
altmodische Figur, zu der sie keinen rechten Zugang finden. Dass
Goethe, ein umfassend gebildeter und sehr anpassungsfähiger
Mensch, der ein Lernen bis ins hohe Alter anstrebte, erstaunlich
moderne Züge besaß und viele seine Ideen heute aktueller
denn je sind, lässt sich indes durchaus vermitteln.
Das Buch aus der Reihe Hanser ist in Kapitel unterteilt, die im
Großen und Ganzen der Chronologie von Goethes Leben folgen, auch
wenn sie Themen aus Goethes Schaffen, politischem und Privatleben zum
Inhalt haben. So zieht sich "Faust", Gegenstand des letzten Kapitels,
bekanntlich durch Goethes ganzes Leben, und genau das spiegelt der
Beitrag von Cornelia Gyárfás auch wider.
Diese Einteilung, die von den üblichen Biografien abweicht,
lässt den Leser etwas ahnen von dem so vielseitigen, aber auch
zerrissenen Menschen Goethe, der immer nach Erkenntnis und
Ganzheitlichkeit strebte und gegen seine Unzulänglichkeiten
ankämpfte. Goethes Kindheit und Jugend stellen ein Thema dar, das
natürlich auch heutige Jugendliche interessiert, zumal, wenn die
Erziehung durch den Vater und das tragische Schicksal von Goethes
jüngerer Schwester Cornelia genauer betrachtet werden. Die
Autorinnen untersuchen einzelne Werke Goethes, vor allem solche, die
Jugendlichen auch in der Schule begegnen: "Werther" - natürlich!
-, "Wilhelm Meisters Lehrjahre", der "west-östliche Divan", die
"Marienbader Elegie" samt zugehöriger Liebesgeschichte und
selbstverständlich "Faust". Einfühlsam zeigen die Autorinnen
auf, welche Ereignisse in Goethes Leben für diese Werke Pate
standen, wie Goethes Leben die Dauer der Entstehung beeinflusste, wie
sie rezipiert wurden, wie sie zu deuten sind und was sie uns heute noch
sagen und bedeuten können. Besonders gut kommt Goethes Entwicklung
vom "Sturm und Drang" zur Klassik zur Geltung. Erotische und
homoerotische Anspielungen in Goethes Werk, die nicht selten sind und
oft recht deftig zutage treten, werden nicht unter den Tisch gekehrt,
sondern, freilich ohne übermäßige Betonung oder
Kommentierung, als solche aufgezeigt. Schließlich wendet sich das
Buch an Jugendliche und nicht an Kinder.
Doch auch Biografisches kommt keineswegs zu kurz. Die Reisen in die Schweiz und nach Italien
werden ebenso betrachtet wie Goethes Arbeit als Erzieher eines jungen
Fürsten und hochrangiger Staatsmann in einem kleinen
Fürstentum, sein Verhältnis zu Schiller und Herder, seine
großen Fehler als Vater, sein Interesse an Naturwissenschaften
und seine zeichnerischen Fähigkeiten. Im Zentrum aber stehen seine
Liebesverhältnisse,
ohne die man Goethe nicht verstehen kann. Goethes relativ kurzen
Liebesbeziehungen, oft zu bereits "vergebenen" jungen Frauen, finden
ebenso Erwähnung wie die Liebe zu seiner späteren Ehefrau
Christiane und zu Frau von Stein.
Für heutige Schüler dürfte es erstaunlich sein, zu
erfahren, dass Darwin sich durch zuvor von Goethe geäußerte
Mutmaßungen zur Evolution
- auch wenn es den Begriff damals noch nicht gab - bestärkt
fühlte, und dass der Dichter ernstzunehmende morphologische
Studien betrieb. Andererseits diskutiert Cornelia Gyárfás
Goethes Farbenlehre, die auf stur beibehaltenen falschen Prämissen
beruht, angemessen kritisch.
Ob sich Jugendliche dank diesem Buch künftig von Goethe fesseln
lassen, scheint zweifelhaft. Eher kann es Schülern, die sich
ohnehin für Literatur interessieren, zu einem besseren
Verständnis dieses nicht nur aufgrund seines vielseitigen und
tiefgründigen Werks, sondern auch wegen seiner bewegten Biografie
einmaligen Dichters verhelfen, denn es ist lebendig und anschaulich
verfasst und vermittelt einen abwechslungsreichen Eindruck von Goethes
Leben und Schaffen. Zahlreiche Illustrationen, fast sämtlich
Zeichnungen von Goethes Hand oder aber Porträts von Frauen, die er
liebte, bringen den Protagonisten dem Leser näher.
Das Buch bietet somit Jugendlichen, die sich für Literatur
interessieren, einen spannenden Zugang zu einem Dichter von Weltrang;
es lässt sich übrigens sicher auch gut zur Arbeit in
Schulklassen einsetzen.
(Regina Károlyi; 11/2007)
Christiana Engelmann, Claudia Kaiser, Cornelia
Gyárfás: "Möglichst Goethe"
dtv Reihe Hanser, 2007. 494 Seiten. (Ab 14 J.)
Buch bei amazon.de bestellen