Jostein Gaarder: "Das Kartengeheimnis"

"Keine(r) stellte jemals die Frage, wer sie (die Bewohner der magischen Insel) waren und woher sie kamen. Und auf diese Weise waren sie eins mit der Natur, die sie umgab. Sie 'waren' einfach in diesem üppigen Garten - so fest und unbekümmert wie die Tiere ... Und dann kam der Joker. Er schlich sich wie eine giftige Schlange ins Dorf."

(Auszug aus "Das Kartengeheimnis")


Eine Reise in die Welt der Philosophie 

Ein Vater fährt mit seinem zwölfjährigen Sohn Hans-Thomas von Arendal in Norwegen nach Griechenland, um seine Frau wieder zu finden. Diese hat ihre Familie vor acht Jahren verlassen, um sich in Athen selbst zu verwirklichen. Dass die Reise nach Griechenland führt, in das Heimatland der Philosophen, ist kein Zufall, denn der Roman "Das Kartengeheimnis" ist gleichzeitig ein praktisches Lehrbuch für Philosophie. Allein die interessanten Reisebeschreibungen und die unterhaltsamen Dialoge zwischen Vater und Sohn zu existenziellen Fragen bieten genug Stoff für einen Roman. Aber das ist nur der Anfang einer kunstvoll verschachtelten Geschichte. 

Auf ihrer langen Reise haben Vater und Sohn Aufenthalt in einem kleinen Schweizer Bergdorf. Hier begegnet Hans-Thomas dem dort ansässigen Bäcker. Auf recht merkwürdige Weise erhält er von ihm ein mysteriöses Buch, das eine Art Sippengeschichte enthält. Es handelt sich dabei um Aufzeichnungen des Bäckers, die für Hans-Thomas bestimmt sind. Das Buch beschreibt eine Geschichte, die vor zweihundert Jahren mit einem Schiffbruch begann und einen jungen Seemann auf eine magische Insel führte. Spätestens an dieser Stelle gleitet die Geschichte über ins Fantastische, denn die seltsamen Bewohner der Insel sind das Produkt der Fantasie des einsamen Seemanns. Was ist das Besondere an dieser rätselhaften Insel? In der virtuellen Inselwelt werden die gleichen existenziellen Fragen beleuchtet, wie auf der realen Fahrt nach Griechenland. 

Im weiteren Verlauf der Reise nach Athen bzw. der Geschichte der magischen Insel werden die Handlungsfäden auf wundersame Weise miteinander verwoben, und zum Ende des Romans hin konvergieren sie. Die Grenzen zwischen imaginärer und realer Welt verschwimmen. Philosophische Fragen werden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und der Joker, eine geheimnisvolle Gestalt aus dem Buch des Bäckers, spielt dabei eine besondere Rolle. Er hinterfragt alltägliche Dinge, durchbricht die natürliche Ordnung von Raum und Zeit und transzendiert die unterschiedlichen Welten. Er ist Verführer und Sinnbild für den Drang der Menschheit nach Erkenntnis. 

Das Buch wirkt ausgereift und wohl durchdacht. Jostein Gaarder weiß genau, welche Details er beschreiben muss und wo Lücken erforderlich sind, damit die Fantasie der Leserschaft angeregt wird. Ähnlich wie zum Beispiel "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry oder "Die Möwe Jonathan" von Richard Bach ist "Das Kartengeheimnis" aufgrund seiner Aussagen und Denkanstöße ein zeitloses Werk und für jede Altersgruppe geeignet. Ich halte "Das Kartengeheimnis" für ein besonders wertvolles Buch und glaube, dass es einen festen Platz in der Literaturgeschichte einnehmen wird. 

Jostein Gaarder wurde 1952 in Oslo geboren und unterrichtete als Lehrer Philosophie. Nach seinem großen Erfolg mit "Sofies Welt" konnte er seinen alten Beruf aufgeben und sich ganz auf das Schreiben konzentrieren. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen in Oslo. Weitere Werke von Jostein Gaarder sind u. a. "Der Geschichtenverkäufer" und "Maya oder Das Wunder des Lebens".

(Klemens Taplan; 02/2003)


Jostein Gaarder: "Das Kartengeheimnis"
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Ab 13 J.
Gebundene Ausgabe:
Hanser, 1995. 348 Seiten. 
ISBN 3-446-17710-8.
ca. EUR 19,90.
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Taschenbuch:
dtv, 1998. 338 Seiten.
ISBN 3-423-12500-4.
ca. EUR 9,50.
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