Rio Reiser, Dietmar Roberg, Manuela Olten:
"Herr Fresssack und die Bremer Stadtmusikanten"

Der im Jahre 1996 verstorbene Rio Reiser, der insbesondere als Liedermacher, Sänger und Komponist erfolgreich war, schrieb bereits anno 1973 das Hörspiel, welches nunmehr wieder mit Genuss konsumiert werden kann. Ich schreibe bewusst "konsumiert", da diese Geschichte für Kinder und Erwachsene den heutzutage alltäglichen Konsumwahn gehörig auf die Schaufel nimmt. Es ist ja nicht so, dass der Fresssack nur verspricht, Geld an die Bremer Stadtmusikanten zu verteilen, sodass sie ein "besseres" Leben haben mögen, sondern gleichzeitig macht er ihnen Lust darauf, allerlei Gegenstände - vom Fernseher über die Waschmaschine bis zum Staubsauger - erwerben zu können, wenn sie ihre Arbeit ordentlich verrichten. Denn natürlich ist klar, dass der Fresssack kein Wohltäter ist, der keine Gegenleistungen verlangt ... Acht Stunden müssen die Tiere (u.a. Schwein, Hund, Huhn und Esel) an jedem Tag dem "Zauberer" gehorchen, der viel verspricht, und natürlich nichts davon halten mag.

Fresssack lässt für sich arbeiten und wird dabei von Tag zu Tag reicher. Die Tiere malochen, und er staubt das Geld ab. Die Igel waren von vornherein skeptisch, was die Versprechungen des Fresssacks betrifft. Sie beteiligten sich nicht an der Schufterei. Doch der Fresssack beschließt, diese Igel aus dem Weg räumen zu lassen, indem er vorgibt, diese Tierchen wollten den Hof angreifen. Die Bremer Stadtmusikanten glauben ihm allerdings nicht. Sie werden skeptisch; auch deswegen, weil das Schweinchen sich dessen sicher ist, schon bald verwurstet zu werden.

Am Ende jagen die Tiere den Fresssack davon, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Doch halt, es gibt noch ein Ende nach dem Ende, da davon erzählt wird, dass ein glückliches Ende zwar lustig, aber nicht die Regel ist. Das mag den Zuhörern zu denken geben. Denn selbstverständlich ist es nicht, dass Arbeitssklaven so einfach einen Aufstand machen und den Kerl, der sie versklavt und dabei viel Geld kassiert hat, zum Teufel jagen.

Sowohl Buch als auch Hörspiel sind lesens- bzw. hörenswert. Doch es versteht sich von selbst, dass ich hauptsächlich auf die Tonspur zu sprechen kommen will. Denn die Qualität dieses Hörspiels ist fantastisch. Rio Reiser verkörpert den Fresssack so ungeheuer lebendig, dass es eine reine Freude ist. Dietmar Roberg, der das Hörspiel als Frosch bereichert, schrieb den Text zum Hörspiel als Kinderbuchadaption. Die wunderbare Musik stammt von "Ton Steine Scherben", dessen Frontmann Rio Reiser war. Eine Gruppe, die für Furore sorgte und sorgt. Die Qualität der Lieder hat viele Musiker dazu inspiriert, Coverversionen zu schaffen. U.a. haben dies Klaus Lage, "Freundeskreis", Marianne Rosenberg, Xavier Naidoo und "Wir sind Helden" getan.

Es ist wohl eine einmalige Sache, diese Gruppe im Rahmen eines Hörspiels musizieren zu hören. Wobei die rebellische Dynamik ungebrochen zum Ausdruck kommt.

Das Buch ist freilich auch lesens- und sehenswert.
Der Texter, Dietmar Roberg, gründete 1988 das Kaspertheater Wunderhorn und ist für dieses bis heute als Autor, Puppenspieler und künstlerischer Leiter tätig.
Die Illustratorin, Manuela Olten, studierte visuelle Kommunikation mit dem Schwerpunkt Kinderbuchillustrationen. Sie gewann den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2004 und ist für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2005 nominiert.
Rio Reiser erhielt 1990 den Fred-Jay-Preis der deutschen Musikindustrie. Er galt seinerzeit (laut Spiegel) als "Deutschlands schillerndster Popstar, ein sympathischer Revoluzzer, der sich an keine ideologischen Vorgaben hielt."
Als Schauspieler erhielt er 1977 den Bundesfilmpreis in Gold. Mit dem Lied "Alles Lüge" unterstützte er 1986 den Wahlkampf der Grünen. Rio Reiser starb am 20. August 1996 auf seinem Bauernhof in Fresenhagen an einem Kreislaufkollaps.

(Klabauter; 07/2005)

Rio Reiser, Dietmar Roberg, Manuela Olten:
"Herr Fresssack und die Bremer Stadtmusikanten"
Kinderbuchverlag Wolff, 2005. 44 Seiten + Hörspiel-CD. (Ab 5 J.)
ISBN 3-938766-03-4.
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