Christine Nöstlinger: "Die feuerrote Friederike"

Es gibt Kinderbücher, die sind einfach ganz anders. Und sie bleiben ganz anders. Egal ob man sie als Kind oder Jugendlicher liest, oder später als Großgewordener noch einmal aus dem Regal nimmt. "Die feuerrote Friederike" ist so ein Buch. 


Vielleicht, weil dieses Mädchen, Friederike, auch so ganz anders ist. Und dieses "anders" gibt dem Leser ein seltsames Gefühl im Bauch. Dick ist sie und rote Haare hat sie, das genügt um auch den Kindern im Buch dieses unangenehme Gefühl im Bauch zu geben. Sie verspotten sie, schießen mit Zetteln auf sie und bedrängen sie auf dem Schulweg. Friederike wehrt sich nicht. Einmal versucht sie ihre Haare einfach abzuschneiden, aber das hilft gar nichts. Die wachsen - flugs! - nach. Es hilft zuerst noch nicht einmal, dass ihr (feuer)roter Kater die Annatante rotglühend anfunkelt und ihr sagt, sie soll der Friederike sagen, was die Haare alles können. Die Annatante ist auch dick und schon lange nicht mehr außer Haus gegangen, aber in ihrer Kindheit hatte auch sie rote Haare - jetzt sind sie leider schon grau - und hat sich zu wehren gewusst ... Was diese feuerroten Haare alles vermögen, wie die Annatante auch wieder zu roten Haaren kommt und was es mit dem Brief in der geheimen Sprache auf sich hat, das müsst Ihr selber lesen! 

"Die feuerrote Friederike" war eine Sensation, als das Buch zum ersten Mal erschien - und meiner Meinung nach hat es auch heute nichts an seiner Kraft eingebüßt. Es war weder eine rührselige Geschichte eines armen Kindes, noch eine erzieherisch qualitätsvolle Geschichte über ein schlimmes Kind. Weitab von jeder Schwarz-Weiß-Malerei hielt sich die Erzählung in - zugegeben feuerroter - Grauzone auf. Das auffallend rote Haar macht Friederike nicht schön, sie hat keine Qualitäten, um diesen äußerlichen "Mangel" zu kompensieren. Sie ist auch noch übergewichtig, hat Sommersprossen und ist zu allem Überfluss noch eine unauffällige gute Schülerin. Eltern gibt es keine. Ohne jede Erklärung lebt sie einfach bei einer "Annatante". Zerrüttete Familien? War das in den 1970ern schon Thema in anderen Kinderbüchern? 

Das Heldentum in diesem Buch steckt in der Verkleidung des farbenblinden Briefträgers. Nachdem er an ein anderes Kind eine Ohrfeige verteilt - hoppla, ist das nun Heldentum oder eigentlich ein Skandal? - wird er aufgrund seiner Farbenblindheit arbeitslos. Was hat das Thema Arbeitslosigkeit in einem Kinderbuch zu suchen? Der Briefträger und seine Frau sind bei der spektakulären Flucht Friederikes, der Annatante und des Katers mit dabei. 

Ist Flucht eigentlich eine geeignete Problemlösung? So wie Christine Nöstlinger die Geschichte enden lässt, ist es ein logischer und öffentlich-frecher Entschluss, das eigene Leben zu verbessern. Ein Grundrecht des Menschen, finde ich. Friederike, ihre Tante und der Kater fliegen Kraft ihrer roten Haare am helllichten Tag vom Marktplatz weg - auf und davon. Den Briefträger und seine Frau nehmen sie mit. In einer großen Einkaufstasche. "Das alles sah der Bürgermeister von seinem Fenster aus. Er sagte zu sich: 'Es ist nicht gut für die Leute, wenn sie so was sehen, das verwirrt sie!' Er lief zum Telefon und telefonierte mit dem Direktor vom Zirkus. (...) ... und der Clown schlug so lange Purzelbäume, bis kein einziger Mensch mehr in den Himmel starrte. (...) Die Leute gingen nachhause und sagten: 'Es war eine gute Zirkus-Schau! Die beste Nummer war aber die mit der rothaarigen Familie!' Und der Bürgermeister rieb sich die Hände und sagte zu sich: 'Das hätte ich wieder einmal hingekriegt!' Dann legte er sich auf sein Sofa und hielt seinen Mittagsschlaf." 

Ich empfehle das Buch für jedes Alter. Zumindest zum "darüber Reden". Loben will ich auch die Illustratorin, Barbara Waldschütz. Die kräftigen Striche ihrer Zeichnungen und der emotional deutlich getrennte Einsatz der Farben transportieren die Geschichte so klar, dass man diesen Kinderbuchklassiker - alleine aus den Bildern - auch einem Kleinkind vorerzählen kann.

(Die Prinzessin; 08/2003)


Christine Nöstlinger: "Die feuerrote Friederike"
Mit Illustrationen von Barbara Waldschütz.
Dachs Verlag, 1977. 96 Seiten. Ab 5 J.
ISBN 3-8591-076-1.
ca. EUR 14,50.
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