Otfried Preußler, Herbert Holzing: "Die Glocke von grünem Erz"
Ein russischer Bauer
stößt beim Pflügen eines Feldes auf einen eisernen Ring. Es ist etwas
Schweres daran befestigt, das sich als Glocke herausstellt. Für ihn ist
die Glocke ein Wink des Himmels, und bald schon sind die Männer des
Dorfes auf den Beinen und zimmern einen hölzernen Glockenturm für die
Glocke von grünem Erz. An den hohen Feiertagen wird die Glocke
geläutet, und sie ist sieben Meilen im Umkreis hörbar.
Wer sie hört und krank ist, dem fällt die Krankheit leichter. Wer
Kummer hat, vergisst diesen; wer einsam ist, vergisst die Einsamkeit.
Wer arm ist, fühlt sich reich, und wer reich ist, erinnert sich der
Armen und hilft ihnen. Die Glocke hat also eine magische Kraft.
Doch eines Tages kommt der Zar vorbei, der es nicht erträgt, dass eine
derart erstaunliche Glocke in irgendeinem unbekannten Dorf beheimatet
ist. Er will sie für sein Schloss und lässt sie abmontieren. Aber die
Glocke lässt sich unter keinen Umständen abtransportieren. Hatte sie
der Bauer mit einem einzigen Ochsen aus dem Feld ziehen können, so
reichen nun selbst zwölf Ochsen nicht aus, die Glocke von der Stelle zu
bewegen. Der Zar ist
wutentbrannt und befiehlt, dass die Glocke in tausend Stücke
zerschlagen werde. Wenn die Glocke ihm nicht dienlich sein kann, dann
soll sie niemandem dienlich sein. Als der Zar das Weite gesucht hat,
und nachdem die Nacht über das Feld gezogen ist, wo die Glockenteile
verstreut sind, erleben die Dorfbewohner eine große Überraschung ...
Das Besondere an dieser zeitlosen Parabel aus Russland ist das offene Ende.
Wenn Sie einem Kind diese Geschichte vorlesen, dann mag es am Ende große Augen
machen, weil es keinen Schluss gibt. Das Kind kann dann seine Fantasie einsetzen
und die Geschichte für sich weiterentwickeln. Die großen Wunder,
welche die Glocke von grünem Erz erschufen und auf erstaunliche Weise walten
lassen, behaupten sich bis in die heutige Zeit weiter. Die Glocke ist ein Symbol,
das von jedem Kind anders interpretiert werden kann.
Eines aber ist sicher: Die Geschichte kann eine neue Perspektive im
Herzen eines Kindes eröffnen, welche das Wunder des Lebens in unendlich
vielen Farbmischungen zu erleuchten vermag ...
Otfried Preußler ist vielen Lesern durch die Abenteuer des "Räuber
Hotzenplotz" bekannt. Er schuf auch den "kleinen Wassermann" und "Krabat".
Otfried Preußler wurde 1923 in Reichenberg/Böhmen geboren und war
Volksschuldirektor, ehe er zu einem der namhaftesten deutschsprachigen
Kinderbuchautoren wurde.
Herbert Holzing wurde 1931 in Trier geboren und machte sich 1966 als
Grafiker selbstständig. Er illustrierte zahlreiche Kinder- und
Jugendbücher. Besonders durch seine Illustrationen von Otfried
Preußlers "Krabat" oder "Die Glocke von grünem Erz" wurde er bekannt.
Mit Otfried Preußler verband ihn eine lange Freundschaft. Er verstarb
im Januar 2000.
"Die Glocke von grünem Erz" erschien erstmals im Jahre 1976 im Thienemann Verlag.
(Klabauter; 03/2005)
Otfried Preußler,
Herbert Holzing: "Die Glocke von grünem Erz"
Thienemann, 2005. 32 Seiten. (Ab 3 J.)
ISBN 3-522-43503-6.
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