Er kannte Afghanistan aus dem Fernsehen genau

Den ganzen Tag wanderten sie schon flußaufwärts durch dieses Tal, das ins Innere Afghanistans führte. Sie gingen auf bequemen Pfaden beiderseits des Flusses, querten ab und zu durch seichte Furten. Später würde die Strömung reißender werden, das Tal enger. Er kannte Afghanistan aus dem Fernsehen genau, es bestand aus lauter solchen Tälern. Sie würden bald auf die gefährlichen Paßstraßen an steilen Hängen angewiesen sein. Wie es in dem Erlaß über ihre Entsendung gefordert war, marschierten sie mit nacktem Oberkörper. Anfangs machte ihnen der eisige Wind zu schaffen. Doch immer wenn sie an einem Gehöft vorbeikamen, holten die Einheimischen, als sei das ein Gebot der Gastfreundschaft, mit ihren verbeulten Aluminiumbechern Wasser aus dem Fluß und gossen es ihnen über Brust und Rücken, wo es trotz der Körperwärme sofort gefror. So legte sich eine immer dickere Eisschicht wie ein Panzer um seinen Oberkörper. Sie schützte ihn nicht nur vor dem Wind, sondern wohl auch vor den Kugeln der Heckenschützen in den Bergen, vor denen man sie gewarnt hatte. Selbst um seinen Hals legte sich nach und nach eine dicke Eiskrause und zwang ihn, den Blick immer nach oben zu richten. Das störte ihn nicht, er bildete ja die Vorhut und mußte die Berghänge im Auge behalten. Allerdings erschwerte der Eispanzer alle Bewegungen außer dem Vorwärtsgehen, er hatte sich schon lange nicht mehr umgewandt. Folgten ihm die anderen noch, oder würde er alleine ankommen im Inneren Afghanistans?


 

(von Rupprecht Mayer)