Die Rückkehr des Amerikaners

Als es um halb eins klingelte, waren seine Frau und die Kinder schon im Bett. Erich machte den Fernseher aus und öffnete. Es war ein sehr alter Mann, der draußen stand, nur Haut und Knochen unter einem verschlissenen Mantel, und er roch nicht gut. Erich schaltete die Gartenlaterne an und erkannte, daß das nur "der Amerikaner" sein konnte, der schon vor 150 Jahren ausgewandert war. Eigentlich sollte er nicht im Vorgarten der Tannenmüllers stehen.

Er konnte von Glück reden, daß Erich an die Tür gekommen war. Erich hatte sich mit der Familiengeschichte befaßt und kannte das einzige erhaltene Porträt des ebenso freiheitsliebenden wie bärtigen Fritz Tannenmüller, alias Tannenmuller, der nach 1848 Europas Tyrannen den Rücken gekehrt hatte. Oder seinen Gläubigern, wie eine alternative Familienüberlieferung behauptete.

Fritz Tannenmuller roch wirklich streng, und Erich sah davon ab, ihn ins Haus zu bitten. Es war besser, wenn er sich erst im nächtlichen Garten ein wenig mit Fritz unterhielt. Darüber, wie Fritz für wenig Geld eine große Insel im Missouri River gekauft hatte, die Indianer eines anderen Stammes jedoch den Kontrakt nicht anerkannten und immer wieder, durch Schilfrohre atmend, vom Festland zur Insel hinübertauchten und die Tannenmullers bei der Feldarbeit attackierten.

Und über seinen Sohn, Fritz Tannenmuller II, den jahrelangen Rekordhalter im Büffeltöten. Ein Enkel brachte es bis zum Vizebürgermeister von Pittsburg, aber er hatte mehr in seine Wahl investiert, als das Amt dann hergab, und verarmte schließlich. Im Lauf eines halben Jahrhunderts waren immerhin zwei oder drei Briefe eingetroffen, in denen die Tannenmullers von ihrem Schicksal berichteten. Dann hörte man nichts mehr, und in den schlechten Zeiten nach den Weltkriegen hofften die Tannenmüllers vergeblich auf den überraschenden Besuch eines Tannenmuller.

Doch in den 80er Jahren las Erich im Abspann von Hollywoodfilmen immer wieder den Namen eines Teddy Tannenmuller, der mit Pyrotechnik ein Auskommen zu finden schien. Und in den späten 90ern war im Wirtschaftsteil der Donauzeitung von einem Bob Tannenmuller die Rede, der sich in der Aktien- oder Hedge-Fond-Szene einen Namen gemacht hatte. Allerdings ging es um Zeugenaussagen zu Insidergeschäften. Ein großes Tannemullersches Vermögen war - wenn es denn entstanden war - zu diesem Zeitpunkt wohl schon den Unwägbarkeiten des amerikanischen Wirtschaftslebens zum Opfer gefallen.

Und jetzt war Fritz Tannenmuller zurückgekehrt, er hatte den Hof seiner Ahnen hoch über dem Donauufer wiedergefunden, trotz der vielen neuen Häuser, die ihn umringten.

Fritz war sehr müde. Wie bist du denn gekommen, fragte Erich, ausgewandert bist du doch über Bremerhaven? Flughafen Frankfurt, sagte Fritz. Und daß er schlafen wolle, lange schlafen. Er könne ihm kein Bett anbieten, antwortete Erich, höchstens eine Schlafgelegenheit im Gewächshaus, auf einem Beet vielleicht. Bett oder Beet, das sei ihm einerlei, meinte Fritz. Immerhin hatte er seinen Humor nicht verloren.

Erich Tannenmüller wies ihm ein Beet voll schwarzer, duftender Erde zu, auf dem er eigentlich am nächsten Tag Kopfsalat pflanzen wollte. Fritz schmiegte sich hinein und hatte die Augen schon geschlossen, als Erich ihn mit einem alten Teppich zudeckte. Gute Nacht! sagte Erich, und wollte gehen, aber Fritz gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, daß er noch etwas sagen wollte. Erich legte sein Ohr dicht an den Teppich, den Fritz über seinen knochigen Schädel gezogen hatte. Sie geben keine Ruhe, diese Indianer, sagte Fritz leise. Mach dir keine Sorgen, hier gibt es keine, tröstete ihn Erich, du bist in Sicherheit!

An der Tür des Gewächshauses fiel ihm noch eine Frage ein, die er dem Schläfer unter dem Teppich stellen mußte: Du bist zurück, Fritz, aber was wird jetzt aus deinen Nachfahren in Amerika? Die kommen auch noch, flüsterte Fritz. Seine Stimme war kaum mehr zu verstehen.

Erich Tannenmüller ging nachdenklich ins Haus zurück. Er würde noch mehr Salatbeete anlegen müssen.


 

(von Rupprecht Mayer)