Wie Epistemon, der um einen Kopf kürzer geworden war, auf höchst geschickte
Weise von Panurg kuriert wurde, nebst Nachrichten über Teufel und Verdammte
Sobald Pantagruel diesen
riesigen Kampf zu Ende gekämpft hatte, begab er sich zu dem Ort wo die Weinflaschen
standen, und rief Panurg und die anderen zu sich, die auch fix und munter herbeigelaufen
kamen bis auf Eusthenes, dem einer der
Riesen
beim Abmurksen das Gesicht ein bischen zerkratzt hatte, und Epistemon, der gar
nicht kam. Darüber ward Pantagruel so traurig, daß er sich das Leben nehmen
wollte, aber Panurg sagte zu ihm: "Mein Gott, Herr! wartet noch ein bischen
damit, wir wollen ihn unter den Toten suchen und erst sehen, wie es mit ihm
steht".
Also suchten sie nach und fanden ihn mausetod, den blutigen Kopf unterm Arm.
Sofort schrie Eusthenes laut auf: "Ha! Tückischer Tod! So hast du uns den edelsten
der Menschen entrissen!" bei welchen Worten sich Pantagruel von seinem Sitz
erhob und zu Panurg sprach: "O, mein Lieber! so war denn doch falsch, was Du
uns aus den beiden Gläsern und dem Lanzenschaft prophezeitest!" -
Panurg antwortete aber beschwichtigend: "Kinder, weint mir nicht; er ist noch
ganz warm, und ich werde ihn schon wieder lebendig und gesund machen, ganz so,
wie er früher gewesen ist". Nach diesen Worten nahm er den Kopf und hielt ihn
an seinen Hosenlatz, damit er warm bleibe und der Wind ihn nicht abkühle, indessen
Eusthenes und Carpalim den Leib nach der Stelle hintrugen, wo sie vorher gezecht
hatten, ohne Hoffnung zwar, daß er geheilt werden könne, aber doch, um ihn Pantagruel
zu zeigen. Panurg aber hörte nicht auf, Mut einzusprechen, und sagte: "Wenn
ich ihn nicht heile, will ich selbst den Kopf verlieren, was ich nicht sagen
würde, wenn ich meiner Sache nicht gewiß wäre! Hört also mit eurem Flennen auf
und helft mir lieber".
Darauf wusch er Kopf und Hals sehr sorgfältig mit Weißwein, den er vorher mit
pulverisiertem Menschenkot (davon er immer etwas in seinem Täschschen bei sich
trug) gemischt hatte, bestrich beides mit einer Salbe, die ich nicht kenne,
und setzte sie dann so aneinander, daß ganz genau Ader an Ader, Nerv an Nerv,
Wirbel an Wirbel kam, damit er nicht etwa querköpfig würde, denn "solche Leute
wären ihm höchst zuwider". Dann nähte er das Ganze rund herum mit fünfzehn oder
sechzehn Stichen fest, weil sonst, wie er sagt, der Kopf leicht wieder herunterfallen
könnte, und legt zuletzt noch ein Pflaster um die Wunde, das er Ressurektionspflaster
nannte.
Gleich darauf fing Epistemon an zu atmen, schlug die Augen auf, nieste ein paarmal
und ließ einen regelrechten Bauernfurz fahren. "Jetzt ist er wieder gesund",
sagte Panurg, und gab ihm einen Becher Landwein mit gebranntem Zucker zu trinken.
-
Auf diese geschickte Weise ward Epistemon kuriert, nur blieb er noch drei Wochen
lang etwas heißer und litt an einem trockenen Husten, gegen den nichts als fortwährendes
Trinken half. Auch fing er an zu sprechen und erzählte, daß er die Teufel gesehen
und mit Lucifer ganz gemütlich geplaudert hätte; überhaupt habe er sich in der
Hölle und in den Elysäischen Feldern überhaupt nichts abgehen lassen. Seiner
Versicherung nach waren die Teufel die besten Kameraden von der Welt, und was
die Verdammten anbeträfe, so täte es ihm wirklich leid, daß Panurg ihn sobald
wieder lebendig gemacht habe; "denn", sagte er, die zu sehen ist ein wahrer
Spaß". "Wie so ?" fragte Panurg.
"Man behandelt sie gar nicht so schlecht wie ihr euch einbildet; aber was sonderbar
ist, alle sind und treiben was anderes wie vordem. So zum Beispiel flickte Alexander
der Große alte Hosen und erwarb sich damit kümmerlich sein Brot; Xerxes schrie
Senf in den Straßen aus; Romulus betrieb ein kleines Salzgeschäft; Numa war
Nagelschmied, Tarquinius Wucherer, Piso Bauer, Sulla Bootsmann, Cyrus Kuhhalter,
Themistokles Glaser, Epimanondas Spiegelschleifer, Brutus und Cassius Feldmesser,
Demosthenes Winzer,
Cicero
Ofenheizer, Fabius Rosenkranzvermieter, Artaxerres Seiler, Aeneas Müller, Achilles
Anstreicher, Agamennon Tellerlecker,
Ulysses Schnitter, Nestor Bettler, Darius Abtrittsreiniger, Ancus Marcius Schiffsteerer,
Camillus Flickschuster, Marcellus Bohnenaushülser, Drusus Bierzapfer, Scipio
Africanos Laternenputzer, Hannibal Koch, Priamus Lumpensammler und Lancelot
vom See Schinder.
"Die Ritter von der Tafelrunde waren samt und sonders arme Schlucker, die auf
dem Cocyt, Phlegethon, Styx, Acheron und dem Lethe, wie die Bootsleute in Lyon
und Venedig
Ruderdienste verrichten, wenn die Herren spazieren fahren wollten:
Einen Nasenstüber,
und nicht mehr,
Die Fahrt hin und her,
dazu abends ein Stück verschimmeltes Brot.
"Trojan war Froschjäger,
Antonin Lakai, Commodus Dudelsackpfeifer, Pertinax Nußschläger, Lucullus Kirchenhöcker,
Justinian Schachtelmann, Hektor Gastwirt, Paris ein ganz verlumpter Kerl, Achilles
Heubinder und Kambyses Maultiertreiber. Julius Caesar und Pomopejus kalfaterten
Schiffe, Valentin und Orson dienten in einer höllischen Badestube als Bartkratzer;
Giglian und Gavan waren armselige Schweinehirten; Geauffroy mit dem großen Zahn
verkaufte Schwefelfäden; Goddefroy von Villon war Domonoverleiher, Baudoin Küster,
Don Pedro von Kastilien Bettelpoet, Morgant Bierbrauer, Hüon von Bourdeaux Faßbinder,
Pyrrhus wusch das Küchengeschirr, Antiochus war Schornsteinfeger, Romulus Seifensieder,
Octavian Papierkratzer, Nerva Küchenjunge;
Papst Julius verkaufte Pastetchen, hatte aber seinen großen, abscheulischen
Bart abgeschoren; Johann von Paris war Stiefelputzer, Arthus von Bretagne Fleckenausnehmer;
Percefot bot Messer feil; Papst Bonifatius III. schäumte die Töpfe ab; Papst
Nikolaus III. war Papiermüller,
Papst
Alexander Rattenfänger, und Papst Sixtus schmierte die Venerischen ein."
"Was der Teufel", sagte Pantagruel, "gibt's die da auch?"
- "Gewiß", entgegnete Episte- mon, "und nirgends mehr als dort, über hundert
Millionen und mehr, denn wer das spanische Feuer hier nicht gehabt hat, kriegt's
dort."
"Nun, da brauche ich mich nicht zu fürchten", sagte Panurg, "denn darin hab
ich's so weit gebracht wie einer; ich bin im Loch von Gibraltar und bei den
Säulen des Herkules gewesen und hab mir vom heißesten geholt."
"Ogier, der Däne war Harnischputzer, König Tigranes Dachdecker, Galienus Resturatus
Maulwurfsfänger, Die vier Haimonskinder Zahnbrecher,
Papst Calixt Barbier, Papst
Urban Speichellecker, Melusine Küchenmensch, Matabrune Waschfrau,
Kleopatra
Zwiebelhöckerin; Helena vermittelte Stubenmädchen; Semiramis vertrieb Ungeziefer;
Dido verkaufte
Pilze,
Pentesilea Kresse; Lucretia war Herbergsmutter, Hortensia Spinnerin, und Livia
schabte Grünspan.
"So sauer und kümmerlich verdienten sich die, welche hier auf Erden mächtige
Leute waren ihr bißchen Brot. Dafür waren die Philosophen und armen Leute dieser
Welt dort große Herren. So sah ich Diogenes in einem prächtigen Purpurmantel
und mit einem Scepter in der Hand,
wie
er Alexander dem Großen eine Tracht Prügel reichte, weil er ihm die Hosen
schlecht geflickt hatte, was diesem natürlich gar nicht gefiel. Desgleichen
Epiktet, der, zierlich à la française gekleidet und von jungen Frauenzimmern
umgeben, in einer schönen Laube saß, scherzte, zechte, lachte und sich nichts
abgehen ließ. Er schien mir eine unbändige Menge Sonnentaler zu haben. Über
dem Gitterwerk stand seine Devise, die folgendermaßen lautete:
Tanzen, Springen,
schöne Sach,
Trinken Roten oder Gälen
Und nichts tun den ganzen Tag,
Als die blanken Taler zählen!
Als er mich zu sehen
bekam, lud er mich höflich ein, ihm Gesellschaft zu leisten, was ich mit Vergnügen
annahm, und so zechten wir recht theologisch mit einander. Währendessen kam
Cyrus hineingehumpelt und bat um Merkurs Willen um einen Heller: er wolle sich
dafür ein paar Zwiebeln zum Abendessen kaufen. 'Nichts, nichts!' sagte, Epiktet,
'Heller geb' ich nicht. Hier, Bursche, hast Du einen Taler und führe dich ordentlich
auf.' Cyrus war über die Maßen froh, solch ein Almosen erwischt zu haben; aber
die anderen verdammten Spitzbuben, die Könige da unten, wie Alexander, Darius
usf., stibitzten's ihm in der Nacht wieder weg. - Ferner sah ich Panthelin,
des Radamanthus Schatz- meister, wie er vom Papst Julius Pastetchen kaufen wollte
und ihn fragte, was das Dutzend davon koste. 'Drei Silberdreier', sagte der
Papst. 'Drei Stockprügel werden auch genug sein', sagte Panthelin, 'Da hast
Du sie, Du Schelm! Jetzt kanst Du gehen und mehr holen.' Der arme Papst schlich
weinend davon. Als er aber zu seinem Herrn, dem Pastetenbäcker, kam und ihm
klagte, daß man ihm die Pastetchen mit Gewalt abgenommen hätte, zerhieb ihm
der das Fell mit einem Riemen dergestalt, daß er wahrlich zu einem Dudelsack
untauglich gewesen wäre. - So sah ich auch Meister Jean le Maire, wie er den
Papst spielte und sich von allen Königen und Päpsten dieser Welt die Füße küssen
ließ, wobei er sich unbändig in die Brust warf und ihnen den Segen etwa in folgender
Weise erteilte: 'Kauft Vergebung eurer Sünden, ihr Schurken! Kauft, ich geb's
euch wohlfeil; ich absolvire euch von Brot und Supe und erteile euch Dispens,
immer nichts zu taugen.' Dann rief er Caillet und Triboullet und sprach zu ihnen:
'Meine Herren Kardinäle, stellt ihnen die Bullen aus und gebt jedem einen tüchtigen
Knuff in die Rippen!' - was denn auch sofort geschah. - Desgleichen sah ich
Meister François Villon, wie er Xerxes
fragte, was eine Portion Senf koste? 'Einen Heller', entgegnete Xerxes. Worauf
Villon ihn anfuhr: 'Was? Du verdammter Schurke! Die ganze Büchse kostet nur
einen Doppelpfennig, wie unterstehst Du Dich hier die Preise so zu schrauben?'
Damit pißte er ihn in den Zuber, ganz so wie's die Senfverkäufer in Lyon zu
machen pflegen. - Ferner sah ich den Landsknecht Baignolet,der hier den Posten
eines Inquisitors bekleidete, wie er den Perceforest abfaßte, der gerade sein
Wasser gegen eine Mauer abschlug, auf welcher das Feuer des heiligen Antonius
hingemalt war. Er erklärte ihn sofort für einen Ketzer, und hätte ihn unfehlbar
verbrennen lassen, wenn nicht Morgant sich für ihn verwendet und dem gestrengen
Herrn Richter für sein Porficiat und andere kleine Sporteln zwölf Tonnen Bier
gegeben hätte."
"Alle diese schönen Geschichten sollst Du uns ein andermal erzählen", sagte
Pantagruel, "jetzt möcht' ich nur noch von Dir erfahren, wie's den Wucherern
dort geht?" -
"Die sah ich verrostete Nadeln und alte Nägel in den Rinnsteinen der Straßen
suchen", erwiderte Epistemon, "ganz wie die armseligsten Schelme hier bei uns.
Aber der Zentner von dem Zeug ist nicht ein Maulvoll Brot wert, und dabei finden
sie so wenig, daß die armen Schächer manchmal drei Wochen lang kein Krümchen
in den Magen bekommen. Trotzdem quälen sie sich Tag und Nacht und berechnen
ihren Gewinn im voraus, obwohl sie, aller Müh und Not ungeachtet, und wie unermüdlich
tätig sie auch sind, am Ende des Jahres höchstens ein paar Heller verdient haben."
"Nun aber, Kinder, wollen wir auch einen Bissen essen und etwas dazu trinken,
denn diesen ganzen Monat schmeckts vortrefflich" -
Also machten sie sich über die aufgestapelten Flaschen her und hieben tüchtig
in den Mundvorrat des Lagers ein. Aber der arme König Anarsch ließ den Kopf
hängen, was Panurg sofort bemerkte und deshalb sagte: "Was geben wir diesem
kleinen König doch für eine Beschäftigung, damit er sein Handwerk schon kenne,
wenn er zum Teufel fährt?" -
Worauf Pantagruel versetzte: "Die Idee ist wahrhaftig nicht schlecht. Tu mit
ihm, was Dir gefällt, ich schenke ihn Dir." -
"Schönen Dank", entgegnete Panurg, "ein Geschenk soll man nicht zurückweisen,
und da es von euch kommt, weiß ich es zu schätzen." (...)
(aus "Gargantua und Pantagruel"
von François Rabelais; 1483-1553
Aus dem Französischen von F. A. Gelbcke)
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